Suche

Musik in schwierigen Zeiten Ansicht

22.08.2022 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 368

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

ein Meisterwerk vom "Mozart des 19. Jahrhunderts" erwartet sie heute: Robert Schumann bezeichnete mit diesen Worten einmal seinen Kollegen Felix Mendelssohn Bartholdy und mag dabei auch dessen dem Salzburger Wunderkind so ähnliche Frühreife als Komponist im Sinn gehabt haben. In der Tat: Wenn man mit 16 Jahren ein Werk wie das Oktett Es-Dur op. 20 komponieren kann, fällt es leicht, an Wunder zu glauben!

Mendelssohn Oktett für Streicher, das im Haus der Eltern erstmals erklang und einige Jahre später als Opus 20 erschien, wurde schon zu Lebzeiten seines Schöpfers ebenso bewundert wie häufig aufgeführt. Auch Mendelssohns Lehrer, der Traditionalist Carl Friedrich Zelter attestierte seinem Freund Goethe gegenüber, das Werk sei  vollendet und habe "Hand und Fuß". Kaum je war Mendelssohn so originell, und zugleich so jugendlich frisch, übermütig und kompositorisch perfekt. Mit seinem Oktett begründete Mendelssohn eine neue Gattung der Streicherkammermusik und schuf ein Modell, an dem sich nachfolgende Komponisten wie Niels Gade oder Joachim Raff orientierten.

In das Oktett, einer Geburtstagsgabe für den befreundeten Geiger Eduard Rietz, flossen Erfahrungen ein, die Mendelssohn bei der Komposition und Aufführung seiner Streichersinfonien gemacht hatte. Die Nähe zur orchestralen Klangfülle und damit die Grenzen dessen, was überhaupt noch als Kammermusik verstehbar ist, sind in beinahe jedem Takt zu spüren.

Vom Scherzo hat Mendelssohn im übrigen selbst eine Orchesterfassung erstellt, die er 1829 bei einer Aufführung seiner ersten Sinfonie in London an die Stelle des ursprünglichen Minuetto setzte. Das Scherzo ist vielleicht der originellste Satz dieses insgesamt exzeptionellen Werks. Nach dem Zeugnis von Mendelssohns Schwester Fanny haben die Schlussverse des Walpurgisnachtstraums aus dem ersten Teil von Goethes "Faust" seine Komposition inspiriert. Im Scherzo des Oktetts ist klar ein Tonfall erkennbar, der an die Mendelsohnsche Elfenmusik erinnert. Der Walpurgisnachtstraum heißt im Untertitel „Oberons und Titanias Goldene Hochzeit“, und damit ist leicht die Brücke hinüber zum "Sommernachtstraum" geschlagen. Mendelssohns Ouvertüre zu Shakespeares Komödie, der Inbegriff romantischer Elfenmusik, entstand kurz nach dem Oktett als zweiter großer Geniestreich des jungen Komponisten. Max Bruch hielt das Oktett jedoch für das "größere Wunder".

Hier nun ein Konzertmitschnitt vom 27. Dezember 2019 im TivoliVredenburg in Utrecht, es musizieren Janine Jansen, Ludvig Gudim, Johan Dalene, Sonoko Miriam Welde (Violine) Amihai Grosz, Eivind Holtsmark Ringstad (Viola) sowie Jens Peter Maintz und Alexander Warenberg (Violoncello):

www.youtube.com/watch

Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von sd