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17.07.2025 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 801

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

Kammermusik von Johannes Brahms steht in der heutigen Ausgabe im Mittelpunkt: Das Streichquartett c-Moll op. 51 Nr. 1.

Zwischen Dramatik und Melancholie bewegt sich dieses eher düstere Werk. Eine lange Leidensgeschichte ging der Vollendung voraus, das der gebürtige Hamburger erst im Alter von 40 Jahren gemeinsam mit seinem zweiten Quartett unter der Opusnummer 51 veröffentlichte - obwohl beide Kompositionen schon jahrelang in der Schublade gelegen hatten, wie Briefe des befreundeten Violinisten Joseph Joachim und seiner engen Vertrauten Clara Schumann erkennen lassen. 20 vollständige Quartette, behauptete Brahms einmal, habe er bis zu diesem Zeitpunkt bereits geschrieben, aber wieder vernichtet. Und als die ersten beiden mit dem Leben davongekommenen Streichquartette 1873 endlich das Licht der Welt erblicken sollten, bedurfte es, wie Brahms scherzhaft anmerkte, für die „Zangengeburt“ eines Chirurgen. Ihm, dem Freund, Bratschisten und Professor Theodor Billroth, sind sie auch gewidmet. Wie bei der ersten Sinfonie lastete das gewaltige Erbe Beethovens auch im Fall des Streichquartetts schwer auf Brahms. Hier wie dort saß dem ohnehin sehr selbstkritischen Komponisten der „Riese“ im Nacken, der ihn fast erdrückte und jahrzehntelang in seinem Schaffen lähmte.

Und wie bei seinen Klarinettensonaten, Konzertouvertüren, Streichsextetten, Serenaden oder auch Klavierquartetten nutzte Brahms die Bildung von Werkpaaren, um zwei gegensätzliche musikalische Charaktere nicht in einem einzigen Stück ausbalancieren zu müssen, sondern die spannungsvolle Doppelgesichtigkeit des Materials aufteilen und so noch deutlicher und extremer herausstellen zu können. Sein Opus 51 ist deshalb durch einen starken Dunkel-Hell-Kontrast gekennzeichnet; es verlangt das Chiaroscuro - die Lichtgestalt und ihre Schattenfigur. Obwohl das Geschwisterwerk gleichfalls in einer Molltonart steht, erscheint es, wenn nicht sonnig so zumindest versonnen und atmet eher Ruhe als Erregung. Nirgends führt es in jene dunklen Tiefen kämpferischer Leidenschaft wie das erste Streichquartett.

Einen finstereren Beginn als den des c-Moll-Werks kann man sich kaum vorstellen: Aggressive Punktierungen treiben das erste, aufstrebende Thema voran und verbreiten jene pathetische Erregung, die den ganzen Satz beherrschen soll. Sie ist sogar noch im zweiten Satz zu spüren - eine lyrische Romanze, die zunächst friedliche Seelenstimmung ausstrahlt, verhalten und sehr gedämpft, nur von dem rastlosen Rhythmus des ersten Themas getrübt. Dieser wirkt auch noch im an dritter Stelle stehenden Allegretto molto moderato e comodo nach. Dessen kurze Phrasen und Sechzehntel-Bewegung weichen jedoch einem melodischen Spiel in Triolen und schließlich einem lieblichen Trio in F-Dur. Doch dieses Quartett gönnt solch gutmütigen Gefühlen keinen großen Raum. Im vierten und letzten Satz kehrt der Sturm mit voller Wucht zurück: fieberhaft gedrängt, nach Licht ringend und es doch nicht erreichend, weitertreibend bis zum unerlösten Schluss in der Ausgangstonart c-Moll - nicht zufällig die Tonart von Beethovens erschütternder fünfter Sinfonie. So klopft auch bei Brahms das Schicksal an die Pforte...

Dennoch: Die Uraufführung am 11. Dezember 1873 in Wien durch das Hellmesberger Quartett brachte vorerst nur einen Achtungserfolg ein. 

Unser heutiger Konzertmitschnitt entstand am 23. Februar 2021 im Paul-Sacher-Saal des Musik- und Kulturzentrums Don Bosco Basel, es musiziert das Belcea Quartet: 

www.youtube.com/watch

Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von sd