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02.04.2024 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 609

  Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

zum diesjährigen Osterfest habe ich ein Werk von Joseph Haydn ausgewählt: Die Missa in Tempore Belli C-Dur Hob. XXII:9, auch als "Paukenmesse" bekannt.

Joseph Haydns letzte Sinfonie (Nr. 104 D-Dur) entstand 1795. Danach beschäftigte er sich vorwiegend mit Streichquartetten und Chorkompositionen, von denen die beiden Oratorien "Die Schöpfung" und "Die Jahreszeiten" sofort ungemein populär wurden, während die sechs Messen auf heftigsten Widerstand stießen. Von diesen Vertonungen des katholischen Ordinariums erlangte die "Missa in Tempore Belli" - unter dem Titel "Paukenmesse" - den größten, allerdings recht sonderbaren Ruhm.

Durch Verwendung der Pauke gestattete Haydn ein Vordringen der schnöden Weltlichkeit in die heiligste aller Künste, die Kirchenmusik. Die Sphären des Erhabenen seien ihm verschlossen, so die von protestantischer Seite geäußerte Kritik; wahre Frömmigkeit klinge anders. Ein renommierter Forscher behauptete noch Ende des 19. Jahrhunderts, der Orchesterpart dieser Messe verrate "mehr Eingebungen der komischen Oper und wohl auch des Tanzsaales als solche einer kirchlichen Phantasie". Richtig ist, dass sich in dem Werk nichts von pietistischer Zerknirschung findet. Die Sündhaftigkeit des Menschen wird nicht gegeißelt, sie steht - nach katholischem Verständnis - immer schon im Horizont der göttlichen Gnade. Weswegen auch bei Haydn der Jubel den Jammer übertönt.

Erst 1892 wagte es ein junger Wiener Musikwissenschaftler, die bis dahin widerspruchslos akzeptierten Vorurteile über Haydns Messen zu entlarven. Allerdings schossen auch die Bewunderer übers Ziel hinaus, als sie die Tonmalereien in der "Paukenmesse" leugneten. Sie sind durchaus vorhanden, wenn auch eher symbolischen als illustrativen Charakters. Der von Haydn gewählte Titel des C-Dur-Werkes lautet eben nicht "Kriegs-Messe", sondern "Messe in Kriegszeiten", womit ein viel weiterer Radius gezogen ist. Es geht, anders als in Haydns "Nelson-Messe" von 1798, nicht um konkrete kriegerische Vorkommnisse; bestimmend sind vielmehr psychologische, visionäre Momente.

Weniger die Musik als die bildenden Künste hatten es Joseph Haydns Dienstgeber Fürst Nikolaus II. von Esterházy angetan. Sein Wunsch an seinen Kapellmeister beschränkte sich im Wesentlichen darauf, zum Namenstag für seine Gattin Hermenegild am 11. September eine neue Messe zu schreiben. Dem verdanken wir Haydns sechs große Messen. Eine Ausnahme stellt die "Paukenmesse" dar. Sie wurde in der Wiener Piaristenkirche am 26. Dezember 1796 uraufgeführt, anlässlich der Primiz (erste Messe eines Priesters nach seiner Weihe) von Joseph Franz Hoffmann, dessen Vater, ein kaiserlicher Zahlmeister, dieses Werk offensichtlich beauftragt hatte.

Entstanden ist diese Messe während der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Österreich und dem napoleonischen Frankreich. Das erklärt auch den vom Komponisten stammenden Titel „Missa in tempore belli“ („Messe in Zeiten des Krieges“). Die deutsche Bezeichnung „Paukenmesse“ rührt vom Einsatz der Solopauken im Agnus Dei her, die an Kanonenschüsse gemahnen. Paukenschläge finden sich bereits in der Einleitung des später durch einen Dialog von Solosopran und Chor dominierten Kyrie. In Mittelpunkt des Gloria steht ein ausdrucksstarkes Bass-Solo, das sich mit dem Solocello zu einem Duett verbindet. Meisterhafte Kontrapunktik kennzeichnet das Credo mit einem Sopran- und Bass-Solo im feinfühlig vertonten „Et incarnatus“-Abschnitt. Zart hebt das sich zu einem kriegerischen Aufschrei steigernde Sanctus an. Diese unruhige Stimmung durchzieht auch das Benedictus. Das Agnus Dei ist durch eine sich steigernde Intensität und einer flehentlich vorgetragenen Bitte um Frieden gekennzeichnet.

Unser heutiger Konzertmitschnitt entstand 1984 in der Basilika Ottobeuren mit Judith Blegen, Brigitte Fassbaender, Claes-Håkan Ahnsjö, Hans Sotin sowie Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter der Leitung von Leonard Bernstein:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen wünsche ich ein frohes Osterfest mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von sd