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25.10.2023 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 545

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

heute erwartet Sie eine musikalische Schauerballade - und zugleich ein nur selten aufgeführtes Werk: Die Kantate "Das klagende Lied" von Gustav Mahler.

„Mein Märchenspiel ist endlich vollendet – ein wahres Schmerzenskind, an dem ich schon über ein Jahr arbeite. Dafür ist es aber etwas rechtes geworden!“ - so resümierte der 20-jährige Gustav Mahler im Jahr 1880 den mühsamen Entstehungsprozess seiner Kantate „Das klagende Lied“, ein Stück für großes Orchester, Chor und Solisten, das der junge Komponist später als sein Opus 1 bezeichnen sollte. Es dauerte lange, bis das Werk endlich 1901 unter Leitung von Mahler selbst in Wien seine Premiere erlebte - und bis heute wird es nur selten aufgeführt, auch wegen der großen Besetzung und des damit verbundenen Aufwands.

Den Text zu diesem Werk hat Gustav Mahler mit 17 Jahren selbst verfasst. Er basiert auf dem gleichnamigen Märchen von Ludwig Bechstein, das Mahler mit Elementen eines anderen Märchens, dem „singenden Knochen“ der Gebrüder Grimm zu einer gruseligen Geschichte verwebt: Eine junge und stolze Königin akzeptiert nur denjenigen Rittersmann als Gemahl, der eine bestimmte rote Blume im Wald findet. Ein verhängnisvoller Wunsch, denn er führt zu einem Brudermord. Und der wird erst bei der Hochzeitsfeier enthüllt - durch eine Flöte, die aus einem Knochen des ermordeten Ritters geschnitzt ist.

Obwohl in dem Stück stellenweise noch die Einflüsse von Vorbildern wie Carl Maria von Weber und Richard Wagner durchschimmern, zeichnen sich die Konturen von Mahlers eigener Klangsprache bereits deutlich ab. Vor allem in charakteristischen Motiven und Farbmischungen, etwa in den Holzbläsern, die auch seine späteren Werke prägen. Dabei präsentiert sich schon der junge Gustav Mahler als Meister der Instrumentation. Im ersten Satz der dreiteiligen Kantate mit dem Titel „Waldmärchen“ beschwört er eine Naturstimmung, die nicht mehr weit von der Welt seiner ersten Sinfonie entfernt ist

Den kompletten ersten Satz hat Mahler selbst in einer umfassenden Revision des Stücks gestrichen, um die gewaltigen Dimensionen einzudampfen und so dem Geschmack des Publikums entgegenzukommen. Sonst hätte er womöglich noch länger als 20 Jahre auf die Uraufführung warten müssen. Außerdem hat er den zweiten und dritten Satz überarbeitet und dabei auch die gigantische Besetzung der Urfassung reduziert, für die unter anderem nicht weniger als acht Harfen vorgesehen waren. Wenn das Stück heute aufgeführt wird, dann meistens mit dem ersten Teil, weil kaum ein Interpret auf dessen musikalischen Reichtum verzichten möchte.

Nach der Vorgeschichte im Waldmärchen kehrt der zweite Teil dorthin zurück, wo der böse Ritter seinen Bruder im Schlaf getötet hat, um an die rote Blume zu kommen und die Königin für sich zu gewinnen. Ein Spielmann findet einen Knochen am Wegesrand und hält ihn für ein Rohr, aus dem er sich eine Flöte schnitzt. Doch als er die Knochenflöte spielt, spricht aus ihr die Stimme des Ermordeten. Gustav Mahler legt sie einem Knabenalt in den Mund. Diese eigentümliche Verbindung eines morbiden Tons mit kindlicher Unschuld gehört auch in späteren Werken zu den Vorlieben des Komponisten.

Dieses Märchen wird kein gutes Ende nehmen, das ist spätestens am Ende des zweiten Teils klar. Doch zu Beginn des dritten Teils  herrscht zunächst noch Festtagsstimmung. Auf dem Schloss sitzen stolze Ritter und Frauen mit goldenen Ketten, um die Hochzeit der Königin zu feiern. Mahler inszeniert dieses Bild mit Bläserpracht, mit rauschendem Schlagwerk und massigem Chor, später kommen noch ein Fernorchester und Solisten dazu.  Alle stimmen in den Jubel über die Hochzeit der Königin ein. Nur der Bräutigam sitzt stumm und bleich auf seinem Thron, geplagt vom schlechten Gewissen über den Mord an seinem Bruder. Als der Bräutigam selbst die Knochenflöte des Spielmanns zur Hand nimmt und auf ihr bläst, meldet sich die Stimme seines ermordeten Bruders ein letztes Mal und klagt ihn öffentlich an, diesmal verkörpert vom Sopran. Die Königin bricht zusammen, die Ritter fliehen, und die alten Mauern versinken - das bittere Ende eines romantischen Schauermärchens, von Gustav Mahler in gespenstische Farben getaucht.

Unser heutiger Konzertmitschnitt stammt von den Salzburger Festspielen 2011, es musizierten beim Eröffnungskonzert im Großen Festspielhaus Anna Prohaska, Dorothea Röschmann, Anna Larsson, Johan Botha, die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor und die Wiener Philharmoniker unter der Leitung von Pierre Boulez:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen ein schönes Wochenende mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von sd