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08.09.2022 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 375

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

einer der großen Komponisten der Musikgeschichte hat lange gebraucht, bis er auch mein Herz erobert hat: Anton Bruckner. Seine Tonsprache erschließt sich nicht unmittelbar, aber es lohnt sich sehr, sich mit den Werken dieses Komponisten auseinanderzusetzen. Mit 30 Jahren war ich dann endlich auch ein großer Bruckner-Liebhaber - und bin es bis heute geblieben. Daher steht in dieser Ausgabe ein musikalisches Schwergewicht im Mittelpunkt: Die Sinfonie Nr. 8 c-Moll.

„Möge sie Gnade finden.“ Mit diesen Worten sandte Anton Bruckner 1887 die Partitur seiner achten Sinfonie an Hermann Levi. Drei Jahre lang hatte der Komponist daran gesessen. Die Siebte, sein Vorgängerwerk, hat dem hoch angesehenen Kirchenmusiker den späten - oder besser: finalen - Durchbruch als Komponist verschafft. Was sollte nun folgen? Der nächste Gipfelpunkt? Der unausweichliche Abstieg? Levi, ein Freund Bruckners und hochdekorierter Dirigent, äußerte nichts Gutes über diese neue, achte Sinfonie.

Vielleicht hatte Anton Bruckner schon eine gewisse Vorahnung, als er postalisch um eingangs erwähnte Gnade beim geschätzten Musikerkollegen bat. In jedem Falle sollten drei weitere Jahre vergehen, ehe Bruckner 1890 seine zweite Fassung vollendete. Tiefe Depressionen begleiteten den Schaffensprozess, der auch nach der Vollendung nicht zu Ende war, denn zwei weitere Jahre mussten vergehen, ehe die achte Sinfonie zur Uraufführung kam. Hans Richter stand am 18. Dezember 1892 am Pult, die Wiener Philharmoniker spielten, und Hugo Wolf notierte in einem Brief dazu: „Es war ein Triumph, wie ihn ein römischer Imperator nicht schöner wünschen konnte.“ Ein Triumph, der hart erarbeitet war. Und gerade deshalb ist diese Sinfonie in gewissem Sinne eine der persönlichsten des Komponisten, eines Österreichers, der das monströse achtzigminütige Werk seinem Kaiser Franz Joseph I. widmete (die Neunte widmete er dann, so die Legende, „dem lieben Gott“…).

Vielleicht ist es seiner Stimmungslage geschuldet, oder der Wiener Liebe zum Morbiden: Die achte Sinfonie klingt düster. Und sie erhält den Beinamen "Mysterium" oder "Die Apokalyptische". Allein schon das Ende des ersten Satzes: ein Dahinsterben mit Blick auf die Totenuhr, sagt Bruckner selbst sinngemäß über seine Coda. Danach tritt der "Deutsche Michel" auf. Das ist Bruckner ganz wichtig: quasi der deutsch-österreichische Volkscharakter, der sich positiv allen Schicksalsschlägen entgegenstellt. Und dann ist Wagner dran, als musikalisches Zitat. Immer wieder verweist Anton Bruckner auf ihn – motivisch oder auch in der Instrumentation. Der Kritiker Eduard Hanslick ätzt sofort gegen die Wagnerlastigkeit des Werks, ausgerechnet bei einem bekennenden Sinfoniker. Nutzt aber alles nichts: Die Achte schlägt ein - wie eine Naturgewalt. Das Publikum im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins tobt vor Begeisterung. Nach jedem Satz muss Bruckner aufs Podium kommen und schließlich drei riesige Lorbeerkränze entgegennehmen. Ein Sieg des Lichts über die Dunkelheit, so wird es später heißen; der größte Erfolg im Leben Anton Bruckners - und selbst sein Kontrahent Johannes Brahms muss zähneknirschend zugeben: Bruckner ist doch ein großes Genie.

Ein Dirigent, der mir die Bruckner-Welt bereichernd erschlossen hat, war Günter Wand. In seinen letzten Lebensjahren war Bruckner der zentrale Komponist für ihn, mit dem er in denkwürdigen Konzerten weltweit Erfolge feierte. Zwei Mitschnitte mit dem heutigen NDR-Sinfonieorchester (heute: NDR Elbphilharmonie Orchester) stehen daher als Empfehlung zu Beginn. Zunächst das Eröffnungskonzert des Schleswig-Holstein Musik Festivals vom 9. Juli 2000 aus der Lübecker Musik- und Kongresshalle:

www.youtube.com/watch

Zum Vergleich ein Mitschnitt aus der Frühzeit des Schleswig-Holstein-Musikfestival vom 23. August 1987 im Lübecker Dom, im Publikum sind neben Festivalgründungsintendant Justus Frantz auch Helmut und Loki Schmidt sowie der damalige Ministerpräsident Uwe Barschel zu sehen. Auch hier musiziert das damalige NDR-Sinfonieorchester unter der Leitung von Günter Wand:

www.youtube.com/watch

Drei weitere, sehr unterschiedliche Mitschnitte empfehle ich an dieser Stelle noch gerne: Bernard Haitink mit dem Concertgebouworkest Amsterdam, aufgezeichnet am 22. August 2007:

www.youtube.com/watch

Pierre Boulez und die Wiener Philharmoniker, aufgezeichnet am 21. September 1996 in der Stiftskirche St. Florian in Linz, wo sich in der Basilika das Grab Bruckners unter "seiner" Orgel befindet - das Konzert fand anlässlich des 100. Todestages von Anton Bruckner statt:

www.youtube.com/watch

Und zuletzt noch ein Mitschnitt aus Australien: Sir Simon Rattle dirigierte im Juli 2015 eine Aufführung mit dem Australian World Orchestra im Sidney Opera House:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler
 

Beitrag von sd