Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
die letzte Ausgabe im alten Jahr 2024 steht an - es sei an dieser Stelle erlaubt, heute noch einmal ein Werk in den Mittelpunkt zu rücken, das in diesem Jahr eine besondere Rolle für die Propsteikantorei Königslutter und auch für mich gespielt hat: Gioachino Rossinis Petite Messe solennelle.
Rossini, einer der wichtigsten Komponisten der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, ist vor allem durch seine 39 Opern bekannt, darunter Publikumsfavoriten wie "Der Barbier von Sevilla", "Die diebische Elster"oder "Wilhelm Tell". Sein letztes großes Alterswerk ist die abendfüllende Petite Messe solennelle, die 34 Jahre nach der Komposition von Rossinis letzter Oper in Passy entstand, wo der Komponist die letzten Jahrzehnte seines Lebens verbrachte. Es handelt sich um eine Auftragskomposition für den Comte Alexis Pillet-Will und dessen Frau Louise Pillet-Will, der das Werk gewidmet ist. Die Uraufführung fand am 14. März 1864 zur Einweihung der Privatkapelle des gräflichen Paares in Paris statt. Albert Lavignac leitete die Aufführung vom Harmonium aus.
Vielleicht waren es die engen räumlichen Verhältnisse, die Rossini zu der auf den ersten Blick etwas ungewöhnlichen, in der französischen Messtradition aber durchaus beliebten Begleitung mit Klavier und Harmonium bewegten. Am nächsten Tag wurde die Messe vor einem größeren Publikum im Pariser Théâtre-Italien wiederholt. Allen Berichten zufolge war die kleine, aber auserlesene Zuhörerschaft von Rossinis neuem Meisterwerk überwältigt.
Die Messe steht ihren äußeren Ausmaßen und auch dem Namen nach in der Tradition der Missa solemnis, wurde aber dennoch vom Komponisten ironisch mit dem Attribut petite („klein“) bedacht. Rossini schreibt dazu in einer Widmung: "Lieber Gott, hier ist sie, die arme kleine Messe. Ist es wirklich heilige Musik (musique sacrée) oder doch vermaledeite Musik (sacrée musique)? Ich bin für die Opera buffa geboren. Du weißt es wohl! Ein bisschen Können, ein bisschen Herz, das ist alles. Sei also gepriesen und gewähre mir das Paradies.“
Rossini wusste um das Unverständnis, mit dem damals vor allem von deutscher Seite den meisten italienischen geistlichen Werken begegnet wurde: Zu opernhaft, zu weltlich, zu sinnlich und damit dem ehrwürdigen Text gleichsam spottend. Eine Haltung, die nicht wahrhaben wollte, dass es auch eine andere Art von Kirchenmusik gibt, verwurzelt in anderer Tradition, deswegen aber nicht weniger ernsthaft als Musik zum Lobe Gottes gedacht. Das Werk trägt unverkennbar die Handschrift des Opernkomponisten, zeigt aber auch anhand der kunstvollen Fugen Rossinis intensive Beschäftigung mit Johann Sebastian Bach in seinen letzten Lebensjahren. Diese Stilmischung führte zu einer außergewöhnlichen Vertonung des Messtextes. Mit der Petite messe solennelle zieht Rossini an der Schwelle des Todes ein Fazit seines musikalischen Schaffens. Mit heiterer Traurigkeit tritt er vor seinen Schöpfer wie vor sein Publikum: „Ich habe nicht mit Dissonanzen gespart, aber ich habe auch etwas Zucker hinein getan.“
Die kleine Besetzung erweiterte Rossini 1867 selbst zu einer Fassung für Chor und großes Orchester - eigentlich nur, um fremden Bearbeitern zuvorzukommen, wie er selbst bekennt, denn: „Findet man die Messe nun in meinem Nachlass, so kommt Herr Sax mit seinen Saxophonen oder Herr Berlioz mit anderen Riesen des modernen Orchesters, wollen damit meine Messe instrumentieren und schlagen mir meine paar Singstimmen tot, wobei sie auch mich glücklich umbringen würden.“ Beide Fassungen Rossinis existieren seitdem mit je eigenen Vorzügen gleichberechtigt nebeneinander.
Mit der Aufführung der Orchesterfassung dieses Werkes hat die Propsteikantorei Königslutter in diesem Jahr ihr 20-jähriges Jubiläum gefeiert, ich selbst durfte am 1. Februar ebenfalls mein 20-jähriges Jubiläum als Propsteikantor in Königslutter feiern und in diesem Jahr eine Orgel-CD im Kaiserdom aufnehmen. Dass wir kurz vor dem Jubiläumskonzert von einer kompletten Förderabsage durch die Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz für die diesjährigen Konzerte im Kaiserdom überrascht wurden, gehört zu den verzichtbaren Anteilen dieses Jahres, ebenso die damit verbundene Absage eines großen Orchesterkonzertes mit Werken von Johannes Brahms und Max Bruch, das ich gerne im November im Kaiserdom dirigiert hätte.
Dank zahlreicher weiterer Förderer und des enormen Engagements unserer Kantoreimitglieder konnte am 8. Juni unser Jubiläumskonzert dennoch im Kaiserdom stattfinden - und das vor zahlreichen Mikros und Kameras: Das Team vom propspect-Studio-Label-Verlag Andreas Lamken hat dieses Konzert aufgezeichnet, und nach Bachs Weihnachtsoratorium in der vergangenen Woche darf ich Ihnen heute auch diesen Konzertmitschnitt ins Haus schicken. Hier das komplette Programm:
Gioacchino Rossini:
Ouvertüre „Der Barbier von Sevilla“ / Ouvertüre „Wilhelm Tell“ / Petite Messe solennelle
Zugabe:
Georges Bizet: Farandole aus der L'Arlésienne-Suite Nr. 2
Katharina Göres, Sopran * Julia Fercho, Alt * Michael Pflumm, Tenor * Marco Vassalli, Bariton
Propsteikantorei Königslutter * Kammerchor Vela Cantamus (Einstudierung: Andreas Lamken)
Kantorei Schöppenstedt (Einstudierung: Julian Heider) * Chor an St. Michaelis, Braunschweig (Einstudierung: Renate Laurien)
Matthias Laidler, Orgel
Camerata Instrumentale Berlin
Matthias Wengler, Leitung
www.youtube.com/watch
Zum Abschluss: "Musik in schwierigen Zeiten" wird auch 2025 fortgesetzt - wer die einzelnen Ausgaben nicht ohnehin schon per Mail erhält, findet sie auf der Website der Propstei Königslutter unter folgendem Link: www.propstei-koenigslutter.de/aktuell/nachrichten
Ihnen allen wünsche ich ein erfolgreiches, gesundes und friedvolles neues Jahr 2025 mit vielen schönen Musikerlebnissen!
Matthias Wengler