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27.05.2024 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 632

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

vor einigen Monaten habe ich unser heutiges Musikstück live im Konzert mit dem Quatuor Ébène gehört - und habe es gleich auf die Liste für diesen Newsletter gesetzt: Edvard Griegs Streichquartett g-Moll op. 27.

1877 packt Edvard Grieg seine Koffer. Er hat vorerst genug von dem geschäftigen Treiben der Stadt. Grieg verlässt Christiania, das heutige Oslo, und geht nach Hardanger - eine Region mit malerischen Fjorden, an deren Ufern sich die Berge in die Höhe strecken, dazu gesellen sich dramatische Wasserfälle und Gletscher. Kurzum: Es ist die ideale Umgebung für einen ausgewachsenen Kreativitätsschub!

Grieg hat auch schon einen Plan: Er möchte die Volksmusik seiner Heimat mit der Form des Streichquartetts verknüpfen. Das Ideengerüst steht also bereits, nur mit der Ausführung tut sich Grieg zu Beginn ein wenig schwer. Zur Schaffenskrise kommt dann auch noch eine Ehekrise. Es könnte durchaus besser laufen für den Komponisten.

Schließlich bringt Edvard Grieg seine Idee dann aber doch noch zu Papier. Grieg widmete sein Streichquartett dem Kölner Geiger Robert Heckmann, einem Freund aus den Leipziger Studienjahren. Die Uraufführung erfolgte daher auch in Köln im Oktober 1878. Sie war ein großer Erfolg für den anwesenden Komponisten und machte das Werk in Deutschland relativ schnell bekannt. Grieg befand: „Das Werk klingt so, wie ich es mir gedacht habe. Es ist eine Tatsache, dass es nicht nach den Anforderungen der Leipziger Schule gemacht ist. Aber dass es nicht geigenmäßig, ja sogar klaviermäßig ist, das ist ein Irrtum.“

Mit diesem Satz kennzeichnete Grieg das Neue dieser Komposition. Er hatte sich vom strengen kontrapunktischen Streichquartettstil seiner Zeit gelöst und sowohl im Klang als auch in der Form und im Satz neue Wege beschritten: Der Musikhistoriker Gustav Feller schrieb: „Grieg verbindet die vier Sätze des sehr harmonisch konzipierten Werks thematisch durch das Eingangsthema, das nicht nur im Finale erneut auftritt, sondern auch Grundlage des Seitenthemas im ersten Satz ist. Die thematische Verbindung erstreckt sich über alle Sätze und schafft somit einen leitmotivischen Zusammenhang. Durch die rhythmischen und melodischen Veränderungen des Kernmotivs erzielt er Geschlossenheit. Grieg behandelt Melodie- und Begleitstimmen gleichwertig, durch seinen Klangsinn vermag er dem Werk einen besonderen Reiz zu geben.“  In dem Eingangsthema zitiert Grieg sich übrigens selbst, es stammt aus seinem 1876 komponierten Spielmannslied („Spillemænd“) nach einem Gedicht von Henrik Ibsen. Darin geht es um eine verlorene Liebe und die Macht der Kunst.

Die Zeitgenossen beurteilten das Werk sehr unterschiedlich. So sahen einige in der inneren Verschiedenheit der Satzteile, in dem vielgestaltigen Nebeneinander kleiner Abschnitte und vor allem in der vermeintlich quartettfremden Stimmbehandlung einen Verstoß gegen die gewohnten Regeln für eine Streichquartettkomposition.
Richard Stein nannte sie "vier einheitlich gekleidete Kinder, die nicht zu einer Familie gehören" . Griegs Verleger wünschte sogar eine Umarbeitung zum Klavierquartett. Aber Grieg ließ sich nicht beirren. Nach der Uraufführung schrieb er am 28. Oktober zurück: „Die Änderung in ein Klavierquartett war unmöglich, weil die Hauptthemen alle durch und durch aus der Natur der Streichinstrumente heraus erfunden sind. Das Einzige wäre, ein Streichquintett daraus zu machen.“ Uneingeschränkte Anerkennung fanden dagegen die leidenschaftliche Gestaltung, die Klangfarben und die Anklänge an die Volksmusik.

Griegs Streichquartett ist gar nicht so häufig im Konzertsaal zu erleben. Einer der Gründe mag sein, dass es wirklich elend schwer ist. Wenn ein Ensemble nicht wirklich technisch sehr souverän ist und extrem intonationssicher, wirkt Grieg zwar immer noch eindrucksvoll, aber stets irgendwie unausgegoren. Das Quartett g-moll  stößt mit seinen häufigen Doppelgriffen bis in den Bereich der realen Achtstimmigkeit vor. Da braucht man schon sehr viel Erfahrung im Umgang mit anderer sperriger Literatur, bis man diesen orchestralen Momenten klanglich gewachsen ist. Es geht wirklich an die Grenze dessen, was ein Streichquartett an Sound leisten kann.

Zwei Versionen stelle ich Ihnen heute gerne vor, zunächst das Original mit dem Nordic String Quartet, aufgenommen 2019 in der Royal Danish Academy of Music in Kopenhagen:

www.youtube.com/watch

Zum Vergleich noch eine Version für Orchester mit dem Stuttgarter Kammerorchester unter der Leitung von Matthias Foremny, aufgezeichnet am 10. November 2013 im Mozartsaal der Stuttgarter Liederhalle:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von sd