Suche

Musik in schwierigen Zeiten Ansicht

13.09.2024 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 678

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

unser heutiges Werk ist eine gelungene Mischung aus Mozartscher Leichtigkeit, deutsch-romantischer Innigkeit und französischer Eleganz: Die Streicherserenade C-Dur op. 48 von Peter Tschaikowsky. Inspiriert von russischen Volksliedern, Gesang, Tanz und großem Pathos, wurde sie zu einem seiner berühmtesten Werke.

Im November 1880 schreibt Peter Tschaikowsky an seine Mäzenin Nadeshda von Meck: "Stellen Sie sich vor, meine liebe Freundin, meine Muse ist mir in letzter Zeit so gnädig gewesen, dass ich sehr schnell zwei Werke komponiert habe, und zwar: erstens, einem Wunsch Nikolai Rubinsteins entsprechend, eine große feierliche Ouvertüre für die Eröffnung einer Ausstellung und zweitens eine Serenade für Streichorchester in vier Sätzen. Die Serenade komponierte ich aus innerem Antrieb. Sie ist vom Gefühl erwärmt und ist - wie ich hoffe - vom wirklich künstlerischen Wert..."

Die Serenade entstand in inspirierender ländlicher Atmosphäre: Im ukrainischen Dörfchen Kamenka, auf dem Gut seiner Schwester Alexandra fand Tschaikowsky Erholung, indem er die Musik alter Meister studierte. Überhaupt war das Jahr 1880 für den Komponisten sehr fruchtbar. Außer der Streicherserenade vollendete er sein Klavierkonzert Nr. 2 und schrieb das "Capriccio italien". Die Serenade trägt einen ungewöhnlich optimistischen Charakter. Der sonst häufig von Selbstzweifeln und Depressionen heimgesuchte Tschaikowsky schrieb ein Stück, in dem alle vier Sätze und Themen in strahlendem Dur stehen. Tschaikowsky hat die Partitur nach seiner eigenen Aussage zunächst als "etwas zwischen Sinfonie und Streichquintett" gedacht.

Tschaikowsky experimentierte darin mit Formen und Strukturen und schuf Bezüge zwischen der russischen Musiksprache mit ihren Anleihen aus den Volksliedern und der vornehmen Serenadenmusik des 18. Jahrhunderts. Tschaikowsky selbst charakterisierte den ersten Satz der Streicherserenade als "Tribut meiner Verehrung an Mozart". Mozarts Einfluss offenbart sich weniger im Ton der Musik als vielmehr in der kompositorischen Haltung. So hat Tschaikowsky den Kopfsatz mit "Pezzo in forma di sonatina" überschrieben - auf Deutsch "Stück in Form einer Sonatine". Wahrscheinlich wollte der Komponist ihn damit bewusst von den dramatischen Sonatensätzen Beethovens abgrenzen. Im ersten Satz verzichtet der Komponist sogar gänzlich auf eine Durchführung und lässt die beiden Themen in lockerer Anordnung aufeinander folgen. Eingerahmt wird dieses erste Allegro von einem eröffnenden und schließenden aristokratischen Andante non troppo.

Der Walzer aus der Streicherserenade ist vielleicht eines der populärsten Werke von Tschaikowsky. Er hat sich im Laufe der Zeit ziemlich verselbständigt und wird häufig alleine aufgeführt. Die elegante Melodie verführt zu Träumerei; man glaubt sich in einen Ballsaal der Belle Epoque versetzt, in dem sich Paare im Tanz wiegen und beim sanften Ausklingen der Musik wie ein Traum verschwinden. Der dritte Satz, die Elegie, ist dagegen ist voller Schwermut. Nach einer ernsten Einleitung führen Violoncello und Violine ein inniges Gespräch.

Zum Finale, dem "Tema Russo", gehören zwei russische Volkslieder. Das erste, das in der langsamen Einleitung anklingt, ist ein Kutscherlied von der Wolga. Zum Gegenstand des Satzes wird das zweite Lied "Unterm grünen Apfelbaum". Die beschwingte Tanzweise stammt aus Tschaikowskys eigener Sammlung russischer Volkslieder. In seiner Struktur aus auf- und absteigenden Tonleiterausschnitten ist das Lied mit dem Andante-Rahmenthema des ersten Satzes verwandt - eine Verwandtschaft, die Tschaikowsky in der brillanten Coda offenbart, wenn er beide Themen aufeinander folgen lässt. In einer gelungenen Verschmelzung schließt sich damit der Kreis von der eleganten Musiksprache des 18. Jahrhunderts zur kraftvollen russischen Volksmusik.

Die Serenade - die Karl Albrecht (Cellist und Kollege Tschaikowskys am Moskauer Konservatorium) gewidmet ist - erklang erstmals am 21. November 1880 in einem privaten Konzert. Am 30. Oktober 1881 wurde die Streicherserenade in St. Petersburg unter der Leitung von Eduard Naprawnik uraufgeführt. Die Premiere erwartete der von ständigen Selbstzweifeln geplagte Tschaikowsky mit großer Nervosität. Völlig zu Unrecht: Das Petersburger Publikum jubelte, und der Walzer musste sogar wiederholt werden! In den folgenden Jahren dirigierte Tschaikowsky das Werk oft auf Konzertreisen im Ausland. Es war eines der ersten Werke des Komponisten, das außerhalb Russlands bekannt wurde. Ein zweites Leben erfuhr die Streicherserenade im Jahr 1934. Damals schuf der amerikanische Choreograph George Balanchine auf die Musik von Tschaikowsky sein erstes Ballett. Heute ist das Ballett "Serenade" ein Standardwerk im Repertoire zahlreicher Balletttruppen überall in der Welt.

Drei Mitschnitte empfehle ich Ihnen heute sehr gerne, zunächst mit dem Concertgebouw Kamerorkest, aufgezeichnet am 29. Mai 2016 im Amsterdamer Concertgebouw:

www.youtube.com/watch

Am 7. Mai 2021 dirigierte Paavo Järvi das NDR Elbphilharmonie Orchester in der Elbphilharmonie, pandemiebedingt ohne Publikum:

www.youtube.com/watch

Und hier noch ein Mitschnitt vom 13. Januar 2022, ebenfalls ohne Publikum, aus dem hr-Sendesaal Frankfurt mit dem hr-Sinfonieorchester unter der Leitung von Alain Altinoglu:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von sdf