Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
unser heutiges Musikstück habe ich vor wenigen Wochen live in Berlin erleben dürfen, die Solistin ist zugleich auch die Komponistin: Das Klavierkonzert "Latin Concerto" von Gabriela Montero.
Chopin hat es getan, Liszt sowieso, aber auch Rachmaninow, Prokofjew und Gershwin. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein war es üblich, dass Pianist:innen nicht nur Werke alter Meister aufführten, sondern sich auch eigene Klavierkonzerte schrieben, maßgefertigt gewissermaßen für ihre virtuosen Finger. Heute dagegen steht eine Künstlerin wie Gabriela Montero fast allein da mit ihrer Mehrfachbegabung: Sie wird weltweit als Interpretin gefeiert, hat aber auch das selbstgeschriebene "Latin Concerto" im Repertoire. Und sie kann improvisieren; eine Fähigkeit, die eher Jazzer beherrschen als Klassikprofis. Gerne lässt sich Gabriela Montero zum Ende ihrer Auftritte aus dem Publikum eine Melodie vorsingen und spinnt sie dann spontan weiter. Bei ihrem Konzert in Berlin improvisierte sie in der Zugabe hinreißend über Hildegard Knefs "Für mich soll's rote Rosen regnen"
Wie eine Improvisation beginnt auch das 2016 uraufgeführte "Latin Concerto", nachdenklich, melancholisch. Dann aber platzt aus dem Orchester ein treibender Rhythmus hervor, die Solistin jagt über die Tasten, con fuoco, bis sich alle Beteiligten zum ausgelassenen Mambo vereinen. Bald fällt das Klavier wieder zurück in den leisen, fragenden Tonfall des Beginns, und trotz mehrfacher energetischer Aufschwünge wird die ausgelassene Stimmung nicht wieder erreicht. Mag der Mambo zum Schluss auch noch einmal auftauchen - der Satz endet verschattet. Gabriela Montero will mit ihrem Werk "nicht nur die heitere Oberfläche der lateinamerikanischen Welt" zeigen. Denn die Seele ihrer Landsleute hat zwei Seiten, erklärt die Künstlerin: "Sie kann auch gewaltsam, verbrecherisch und brutal sein." Diese Dualität soll hörbar werden in Monteros Klavierkonzert: "Es hat all die Rhythmen, den Charme und die Sinnlichkeit, die die Menschen an Lateinamerika lieben - aber leider halten diese Eigenschaften die Welt davon ab, zu bemerken, was wirklich vor sich geht. Es ist kein politisches Stück, aber es hat eine Aussage: Nicht alles, was glänzt, ist Gold." Nach diesem Hell-Dunkel-Prinzip funktionieren dann auch die folgenden Sätze, das Andante moderato und das Allegro venezolano: Wobei der langsame Satz mit sehnsuchtsvollen, bittersüßen Melodien bezaubert, während im Finale die Pulsfrequenz kontinuierlich ansteigt - allerdings immer dissonant angeschärft, selbst im wildesten Taumel. "Die einzigen Geschichten, die ich in meinen Kompositionen erzählen kann" , betont Montero, "sind die, deren Wahrheit ich fühle."
Zwei Mitschnitte empfehle ich Ihnen heute mit Gabriela Montero, zunächst die Uraufführung vom 20. März 2016 im Leipziger Gewandhaus mit dem MDR-Sinfonieorchester unter der Leitung von Kristjan Järvi, als Zugabe erklingt "Somewhere over the rainbow":
Im Juli 2017 musizierte Gabriela Montero ihr Klavierkonzert im Teatro del Lago in Frutillar, Chile. Es spielt das panamerikanische Jugendorchester YOA Orchestra of the Americas unter der Leitung von Carlos Miguel Prieto:
Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Dresden
Matthias Wengler