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09.07.2025 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 798

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

wie ein Komponist den Tod seiner geliebten Schwester verarbeitet, ist in unserem heutigen Musikstück zu hören: Felix Mendelssohn Bartholdys Streichquartett Nr. 6 f-Moll op. 80.

Felix und Fanny Mendelssohn - das waren mehr als nur Geschwister. Denn neben ihrer Liebe füreinander teilten sie auch die wohl größte Leidenschaft in ihrem Leben: die Musik. Fanny war genauso talentiert wie ihr kleiner Bruder, erhielt bei den gleichen Lehrern Unterricht und begeisterte jeden mit ihrem Klavierspiel. Als Kinder träumten beide von der großen Karriere, von Reisen quer durch Europa und von Konzertplakaten, auf denen ihre Namen standen. Doch nur für Felix wurde aus dem Traum Realität, denn getreu der damaligen Zeit und den Worten ihres Vaters, konnte für Fanny die Musik "stets nur Zierde, niemals Grundbass ihres Seins und Tuns werden".

Obwohl ihr die Realität oft zusetzte, hörte Fanny nie auf Musik zu machen. Im Gegenteil. Sie komponierte und spielte, wenn auch nicht für die Öffentlichkeit, sodass sie und Felix Kollegen wurden, die sich regelmäßig künstlerisch austauschten. Als er vom unerwarteten Tod seiner geliebten Schwester 1847 in Frankfurt erfuhr, soll Mendelssohn ohnmächtig zusammengebrochen sein. Ohnehin schon sehr erschöpft von einer Englandreise zurückgekehrt und von labilem Gesundheitszustand hoffte er, in der Schweiz wieder Kraft zu tanken. Zunächst war es ihm unmöglich, zu komponieren. Er suchte Trost in der Landschaftsmalerei, wobei er einen besonders beeindruckenden Blick auf Luzern malte, in dem er die gedeckte Spreuerbrücke mit ihren Totentanz-Kunstwerken derartig positionierte, dass sie über den See direkt zu der Hofkirche mit ihren beiden Türmen führte. Als Mendelssohn zur musikalischen Arbeit zurückkehren konnte, goss er seinen Kummer in seine dissonanteste und emotional aufgeladenste Komposition: sein letztes Streichquartett, das im September 1847 im Wesentlichen fertiggestellt, jedoch erst 1850 posthum veröffentlicht wurde - es sollte eine Art instrumentales Requiem für Fanny werden. Mitte September kehrte Mendelssohn nach Leipzig zurück und unternahm zudem eine beschwerliche Reise nach Berlin, um das Grab seiner Schwester aufzusuchen. Wenig später erlitt auch er eine Reihe von Schlaganfällen, denen er am 4. November erlag.

Das Streichquartett Nr. 6 f-Moll ist das düsterste Werk, das Mendelssohn je zu Papier gebracht hat: Zwischen dunklen und rasenden Tönen klingt kein bisschen Versöhnung. Alle Regeln der Streichquartettkunst, die bisher gültig waren, bricht er auf, um seinen Schmerz und seine Verzweiflung auszudrücken. Man kann vielleicht nur vor dem Hintergrund seiner Biographie verstehen, was Mendelssohn hier komponiert hat: ein sehr orchestral gedachtes Quartett mit Ausnahmecharakter. Die Mendelssohn gelegentlich vorgeworfene oberflächlich-klangschöne Unverbindlichkeit ist wie weggefegt; es handelt um ein Ausnahmewerk von großartiger Dynamik und Tiefe. Auch wenn gelegentlich Lyrisch-Kantables ansetzt, herrscht Zerrissenheit vor, vernehmbar in den schroffen Klängen und Tremoli des Kopfsatzes, in den Synkopen und den Tritoni des Scherzos oder in den Dissonanzen und fragmentarischen Motiven des Finales. Einzig der Klagegesang des Adagios versucht lyrisch zu sein, so, als ob er an Lieder Fannys erinnern wollte, doch ohne dass es zu einem eigentlichen Liedgesang (ohne Worte) kommt. Hier wird auch deutlich, was Fanny für Felix war: die wichtigste musikalische Beraterin während vieler Jahre. 

Heute empfehle ich Ihnen einen Mitschnitt vom ChamberFest Celeveland, der am 22. Juni 2019 in der Mixon Hall des Cleveland Institute of Music aufgezeichnet wurde. Es musizieren Alexi Kenney und Nathan Meltzer (Violine), Hsin-Yun Huang (Viola) und Nicholas Canellakis (Violoncello):

www.youtube.com/watch

Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von sd