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18.08.2021 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 214

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

Julius Reubke (1834 - 1858), wurde nur 24 Jahre alt. In seinem kurzen Leben schuf der Organist und Komponist, der Schüler von Franz Liszt war, ein Werk, das zu den wichtigsten Orgelstücken des 19. Jahrhunderts zählt: die Sonate c-Moll „Der 94. Psalm“. Sie ist ein Schlüsselwerk der deutschen Orgelromantik. Mit 23 Jahren - nur ein Jahr vor seinem frühen Tod - hat er sie an der von Friedrich Ladegast geschaffenen Orgel des Merseburger Doms uraufgeführt.

Das Werk war revolutionär, weil Julius Reubke eine Gattung der Orchestermusik, die damals entstand - die Tondichtung oder „Sinfonische Dichtung“ - auf die Orgel übertragen hat. Da er als Sohn eines Orgelbauers aus stark protestantisch geprägtem Kontext stammte, wählte er den 94. Psalm aus der Bibel als Grundlage.

Reubkes Sonate „Der 94. Psalm“ wurde 1857 vollendet. Während Reubke im März des Jahres mit den letzten Arbeiten an seiner Klaviersonate beschäftigt war, erreichte ihn die Einladung, im Juni ein Orgelkonzert im Merseburger Dom zu geben - eine ideale Gelegenheit, um seine Orgelsonate zum Abschluss zu bringen. Bei der Merseburger Ladegast-Orgel, die 1855 fertiggestellt worden war, handelte es sich keineswegs um ein gewöhnliches Instrument: Sie war damals die größte Orgel des deutschen Sprachraums. Das Konzert fand am 17. Juni 1857 statt, und in seiner Rezension für die Neue Zeitschrift für Musik schrieb Karl Brendel über Reubke: „Nach dem Vortrage seiner Sonate konnte man nicht im Zweifel sein über die ganz entscheidende, hervorragende Befähigung desselben als Komponist sowohl, wie als ausführender Künstler. Fantasiereichtum und große Frische der Erfindung zeichnen ihn aus.“

Reubkes Komposition ist zugleich ein bedeutendes Beispiel für ein groß angelegtes Orgelwerk, das auf einem konkreten Text basiert, nämlich auf ausgewählten Versen aus dem 94. Psalm. Deren Wortlaut war Reubke so wichtig, dass sie im Programm zur Uraufführung abgedruckt waren und später auch im Vorwort zur ersten Notenausgabe erschienen:

Grave – Larghetto – Allegro con fuoco, nach Vers 1–3, 6 und 7:
Herr Gott, des die Rache ist, erscheine.
Erhebe Dich, Du Richter der Welt: vergilt den Hoffärtigen, was sie verdienen.
Herr, wie lange sollen die Gottlosen prahlen?
Witwen und Fremdlinge erwürgen sie und töten die Waisen
und sagen: der Herr sieht es nicht und der Gott Jacobs achtet es nicht.

Adagio, nach Vers 17 und 19:
Wo der Herr mir nicht hülfe, so läge meine Seele schier in der Stille.
Ich hatte viel Bekümmernis in meinem Herzen, aber deine Tröstungen ergötzen meine Seele.

Fuge: Allegro, nach Vers 22 und 23:
Aber der Herr ist mein Hort und meine Zuversicht.
Er wird ihnen Unrecht vergelten und sie um ihre Bosheit vertilgen.

Obwohl einsätzig, lässt sich eine deutliche Dreiteilung erkennen, welche der Dramatik des Psalmtextes folgt: Klage (Einleitungsfantasie), Trost (ruhiger Mittelteil) und Zuversicht (große Schlussfuge). Das Werk wurde wegweisend für die Orgelliteratur bis hin zu Max Reger. Die „orgelmäßige“ Anlage mit selbstständiger Rolle des Pedals und klanglicher Ausschöpfung der Orgel in registrier- und satztechnischer Hinsicht zeigt seine Vertrautheit mit technischen und ästhetischen Änderungen des Orgelbaus seiner Zeit.

Drei Organisten möchte ich Ihnen heute zu diesem Werk empfehlen. Zunächst Nathan Laube an der Beckerath-Orgel (1962) der St. Paul Roman Catholic Cathedral in Pittsburgh. Der 2015 produzierte Konzertmitschnitt erfolgte im Rahmen der Mid-Atlantic Regional Convention of the American Guild of Organists:

www.youtube.com/watch

Thomas Osptial gastierte 2019 mit diesem Werk bei den Amici dell'organo di Locarno in der Schweiz in Brione sopra Minusio:

www.youtube.com/watch

Und zuletzt noch ein Mitschnitt vom 15. März 2015 aus St. Sulpice, Paris, mit Daniel Roth an der Cavaillé-Coll-Orgel:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von red