Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
heute steht ein großes Chorwerk von Robert Schumann im Mittelpunkt dieser Reihe: Das Paradies und die Peri op. 50.
Schumanns musikdramatisches Schaffen steht in der Bekanntheit zu Unrecht hinter seinem rein instrumentalen Werk zurück. Stücke wie "Das Paradies und die Peri", "Genoveva", "Faust-Szenen" oder "Manfred" tauchen, wenn überhaupt, eher selten im Konzertsaal auf. Dabei beweisen viele briefliche Äußerungen und Opernpläne von der Bedeutung, die Robert Schumann der Opernkomposition auch für sein Selbstverständnis als Komponist beigemessen hat.
Mit dem lyrischen Drama "Das Paradies und die Peri" hat er ein Hauptwerk der musikalischen Romantik geschaffen. Es entstand 1841, zu einer Zeit, als Schumann das ersehnte Fernziel in der Komposition einer deutschen Oper formulierte. Als weltliches Oratorium wurde es am 4. Dezember 1843 im Leipziger Gewandhaus uraufgeführt. Der märchenhafte, exotische und spirituell gefärbte Stoff geht im Kontext der deutschen Romantik einen anderen kompositorischen Weg als die Musikdramen Richard Wagners - den Weg der Poesie.
Die große Besetzung für Solisten, Chor und Orchester diente Robert Schumann in der unruhigen Zeit vor den Revolutionsjahren 1848/49 dazu, die Utopie einer neuen, friedlicheren Gesellschaft zu entwerfen. Damit traf er den Nerv des damaligen Publikums. Zahlreiche Aufführungen machten "Das Paradies und die Peri" zu einem seiner größten Erfolge (über 50 Aufführungen zu Lebzeiten). Er selbst war ausgesprochen glücklich mit dem Werk und hat es verschiedentlich als seine beste Arbeit überhaupt bezeichnet. Charakteristisch für "Das Paradies und die Peri" ist die lose Reihung von Szenen - eine Art klanglich kolorierter Bilderbogen.
Die Peri, das Kind eines Engels und einer Sterblichen, ist auf der Suche nach dem verlorenen Paradies, aus dem sie ausgeschlossen wurde. Erst durch eine Opfergabe kann die Peri zurück gelangen. So muss sie die Länder der Erde bereisen, um im menschlichen Leid zu finden, was ihr den Einlass ins Paradies ermöglicht. Doch weder das Blut eines Kriegers, noch der letzte Atem einer Sterbenden sind "des Himmels liebste Gaben". Erst die Reuetränen eines Verbrechers öffnen der Peri wieder die Tore zum Paradies.
Das lyrische Drama basiert auf dem Orient-Epos "Lalla Rookh" des englischen Dichters Thomas Moore. Mit seinem Werk war Robert Schumann schon als Kind vertraut. Der märchenhafte Orient, die Paradiesvorstellung des Islam, die exotischen Schauplätze auf der unendlichen Erdenfahrt der unglücklichen Peri beflügelten die kindliche Phantasie Schumanns. Auch als Erwachsener beschäftigte sich Schumann wieder mit diesem hochpoetischen Stoff aus der persischen Mythologie, bis er sich 1841 zur Komposition entschied. Ein liedhaft-lyrischer Ton durchzieht die einzelnen Episoden der bildhaft-farbenreichen Erzählung zwischen Naturidylle und Seelendrama. Das Werk gehört zu den innigsten, empfindungsreichsten und schönsten Musikstücken, die Schumann je komponiert hat.
Besonders hervorzuheben sind die großen Chor- und Ensembleszenen. Die Bandbreite reicht von kurzen Einwürfen über Szenen mit dramatischem Charakter bis hin zu oratorisch kommentierenden Stellen, die - wie in den Passionen von Johann Sebastian Bach - nur mittelbar mit der eigentlichen Handlung verbunden sind. Die anspruchsvolle Chorpartie wird vielfältig differenziert in kleine und große, Männer- und Frauenchorbesetzung und Doppelchörigkeit mit dem Solistenensemble. Neben den ausgedehnten Ensembleszenen treten mehrere Figuren auf, die Erzählerfunktionen ausüben und das Geschehen kommentieren.
Noch in seinen letzten Lebensjahren und während seines Aufenthaltes in der Nervenklinik in Endenich setzte sich Robert Schumann mit den literarischen und musikalischen Welten seiner Kindheit auseinander. 1855 treten die ersten Anzeichen seiner seelischen Zerrüttung auf. In der sich steigernden, tagelangen Beschäftigung mit Atlanten, aus denen er schließlich alphabetisch geordnete Exzerpte und Auszüge herstellt, manifestiert sich der Versuch, eine Ordnung der Welt herzustellen. Diese erträumte Welt, in der revolutionäres Getöse, Krankheit und Angst einem goldenen Zeitalter gewichen sind, stellt sich im exotisch angehauchten Schauplatz der Peri-Erzählung dar.
Schumanns "Das Paradies und die Peri" erklang am 17. Februar 2017 in der Alten Oper Frankfurt, es musizierten Julia Kleiter (Peri), Maximilian Schmitt (Jüngling), Gerhild Romberger (Engel), Katja Stuber (Jungfrau), Krešimir Stražanac (Der Mann/Gazna) sowie das Collegium Vocale Gent und das hr-Sinfonieorchester unter der Leitung von Philippe Herreweghe:
Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler