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08.12.2025 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 862

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

auch heute erwartet Sie wieder ein Werk, das in unserem diesjährigen Weihnachtskonzert vertreten ist. In dieser Ausgabe dreht sich alles um Johann Sebastian Bachs Kantate zum 1. Advent "Schwingt freudig euch empor" BWV 36.

Wohl keine andere Kantate Bachs liegt in so vielen verschiedenen Fassungen vor. Tatsächlich aber stand am Beginn ihrer langen Geschichte eine Glückwunschkantate für einen in Ehren ergrauten Dozenten der Leipziger Universität - ein Preislied auf die hohe Kunst der Lehrer, die unweigerlich die Liebe ihrer Schüler nach sich zieht, wie der Text eines unbekannten Dichters behauptet. Es war für Bach leicht, aus dieser Metapher eine Kantate über die geistliche Liebe zu formen, die den Gläubigen zu Jesus zieht - wie die Braut zum Bräutigam des Hohen Liedes. So entstand die besagte Adventskantate, vermutlich zum 1. Advent 1726. Diese Frühfassung wurde von Bach in den 1730er Jahren gründlich überarbeitet.

Auch die weltliche Geschichte dieser Kantate ging noch durch mindestens drei Etappen: Bach und seine zweite Frau Anna Magdalena gastierten im Advent 1725 in Anhalt-Köthen bei ihrem früheren Dienstherrn Fürst Leopold. Dessen erste Frau, die Bach abschätzig eine „Amusa“ nannte, war inzwischen verstorben, und die Nachfolgerin, Fürstin Charlotte, entpuppte sich als wesentlich musikalischer. Nach dem Tod ihres Mannes 1728 ließ sie schleunigst dessen wertvolle Musikinstrumente beschlagnahmen, um zu verhindern, dass Mutter und Bruder des Verstorbenen die Jacobus-Stainer-Geigen und Hoffmann-Celli verschwinden ließen. Bach konnte Köthen kaum besuchen, ohne der Fürstin mit einer Kantate aufzuwarten, zumal sie am 30. November ihren Geburtstag feierte. Kurzerhand wandelte er die sommerliche Glückwunschkantate für einen Leipziger Dozenten in eine herbstliche Geburtstagskantate für Fürstin Charlotte um („Steigt freudig in die Luft“, BWV 36a). Anna Magdalena, die ehemalige Köthener Hofsängerin, durfte in der wunderbaren Sopranpartie der Kantate glänzen, was ihr im Leipziger Gottesdienst nie erlaubt worden wäre.

1731 kehrte Bach zum Original zurück, um dem neuen Thomas-Schulrektor Gesner zum Geburtstag zu gratulieren - auch er ein akademischer Lehrer der Universität. 1735 formte der Thomaskantor die Kantate dann nochmals um in einen Glückwunsch zu Ehren des Universitätsrektors Rivinius, nun mit dem neuen Text: „Die Freude reget sich“, BWV 36b. Die Varianten der fünf Fassungen - der beiden geistlichen und der drei weltlichen - zu unterscheiden, ist keine leichte Aufgabe. Selbst die Neue Bach-Ausgabe hat, obwohl sie insgesamt vier Versionen in Partitur publizierte, nicht zu allen Fassungen Aufführungsmaterial hergestellt. 

Die Kantate erklang in ihrer endgültigen Fassung erstmals am 1. Advent 1731 in der Leipziger Nikolaikirche. Der Jubel des Eingangschors, die liebevolle Verehrung und das warmherzige Willkommen der drei übernommenen Soloarien gelten nun dem Messias, der, wie einst in Jerusalem, nun Einzug halten soll in die Herzen der Gläubigen. Ihren unverwechselbaren Adventscharakter aber bezieht die Kantate daraus, dass Bach den vier übernommenen festlichen Sätzen drei Strophen des Lutherschen Adventschorals "Nun komm, der Heiden Heiland" gegenüberstellt und so zugleich dem Mysterium der Menschwerdung Gottes eine Stimme verleiht.  

Der heutige Konzertmitschnitt entstand am 14. Dezember 2007 in der reformierten Kirche Trogen in der Schweiz, es singen und musizieren Nuria Rial, Claude Eichenberger, Johannes Kaleschke, Klaus Häger sowie Chor und Orchester der J. S. Bach-Stiftung St. Gallen unter der Leitung von Rudolf Lutz:

www.youtube.com/watch

Als Ergänzung hier noch ein Workshop zu dieser Kantate mit Rudolf Lutz und Karl Graf:

www.youtube.com/watch
 
Eine Reflexion zur Kantate mit Urs Widmer ist hier zu sehen:
 
www.youtube.com/watch

Der MDR hat zu allen Bach-Kantaten eine sehr gelungene Podcast-Reihe mit Michael Maul und Bernhard Schrammek produziert - hier die Ausgabe zur Kantate BWV 36:

www.mdr.de/mdr-klassik-radio/podcast/bach-kantate/bach-kantate-maul-schrammek-folge-einhundertsechsunddreissig-100.html

Und als Nachtrag zur Folge 859 noch der Podcast zur Kantate BWV 62:

www.mdr.de/mdr-klassik-radio/podcast/bach-kantate/bach-kantate-maul-schrammek-folge-achtundsechzig-bmv-zweiundsechszig-100.html

Auch diese Ausgabe schließt mit dem Hinweis auf unser Weihnachtskonzert - seien Sie herzlich hierzu eingeladen:

Sonnabend, 20. Dezember 2025, 18:00 Uhr, Kaiserdom, Königslutter

Weihnachtskonzert

Johann Sebastian Bach:
Magnificat D-Dur BWV 243 * Kantaten „Nun komm der Heiden Heiland“ BWV 62 und „Schwingt freudig euch empor“ BWV 36

Martina Nawrath, Sopran * Antje Siefert, Mezzosopran * Mika Bergman, Alt
Florian Wagner, Tenor * Marco Vassalli, Bass
Propsteikantorei Königslutter
Camerata Instrumentale Berlin
Matthias Wengler, Leitung

Eintritt: 28 €, 50% ermäßigt für Schüler/Studenten;
Vorverkauf: Buchhandlung Kolbe – Sarinas Bücher-  und Spieleparadies / www.coramclassic.de

Ihnen allen ein schönes Adventswochenende mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von sd