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19.01.2024 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 578

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

1827, im letzten Jahr vor seinem Tod, schuf der damals 30-jährige Komponist Franz Schubert einige seiner größten Kammermusikwerke - darunter auch zwei Trios für die Besetzung mit Geige, Cello und Klavier. Das Klaviertrio Nr. 1 B-Dur D 898 stelle ich Ihnen in der heutigen Ausgabe vor.

Es wurde wahrscheinlich im Oktober oder November 1827 komponiert und bereits im Dezember des gleichen Jahres uraufgeführt. In diesem Jahr hatte der Geiger Ignaz Schuppanzigh, der durch seine Erstaufführungen von Beethovens Streichquartetten in die Musikgeschichte eingegangen ist, mit dem Cellisten Joseph Linke und dem Pianisten Carl Maria von Bocklet ein festes Trio gegründet. Alle drei Musiker waren eng mit Franz Schubert befreundet. Nicht zufällig begann Schubert noch im selben Jahr mit der Komposition zweier neuer Grands Trios von solchen Ausmaßen, dass sie selbst die von Beethoven erweiterten Grenzen der Gattung sprengten. Der Zug zum Sinfonischen ist unüberhörbar. Er wird erreicht durch die Ausdehnung der einzelnen Themen zu Themenblöcken und durch eine die fremdesten Tonarten streifende Durchführungstechnik. Dieser Zug ins zeitlos Verströmende verbindet sich mit einem Instrumentalsatz, von dem Robert Schumann schrieb: „Alles klingt, so recht vom Grunde, aus der Tiefe des Claviers heraus.”  

Es wirkt scheinbar problemlos, pendelt zwischen Energie (gleich zu Beginn) und melodischer Lyrik (im Andante), zwischen lockerer Heiterkeit (Scherzo) und wienerischem Charme (Finale) hin und her - und passt so gut in eines der zahlreichen Schubert-Klischees: Schubert, der ohne Reflexion und womöglich ohne völlige Beherrschung der strengen Form naiv-heiter und ohne Schwierigkeiten Meisterwerke schafft, doch am stärksten in der lyrischen Kleinform des Liedes volle Meisterschaft erreicht. Dass Schubert im Spätwerk gerade im Formalen bewusst eigene, andere Wege als die Vorbilder ging, hat die neuere Forschung klar erwiesen. So hat er seine eigene Frage, wer nach Beethoven noch etwas zu machen vermöge, selber beantwortet, gerade in der formalen Vielfalt, der Andersartigkeit der Themengestaltung und deren Verarbeitung, d. h. in der nicht selten bewussten Abkehr vom übermächtigen Vorbild. So wirkt auch das B-Dur-Klaviertrio äußerlich klassisch, im Detail steckt es aber voller Überraschungen.

Mit einer Spieldauer von rund 45 Minuten ist das Stück etwa doppelt so lang wie die Trios von Mozart - und es eröffnet eine neue Welt des romantischen Ausdrucks, auch im Andante.

Eine Reihe von Mitschnitten empfehle ich Ihnen heute - zunächst mit Janine Jansen, Torleif Thedéen und Itamar Golan, aufgezeichnet 2011 während des Internationalen Kammermusikfestivals Utrecht:

www.youtube.com/watch

Zum Vergleich ein tiefer Griff ins Archiv: Yehudi Menuhin, Maurice Gendron und Hephzibah Menuhin, aufgenommen 1964 in der Guildhall im Rahmen des Bath Festivals:

www.youtube.com/watch

Ein Mitschnitt vom 3. Dezember 1998 aus der Minato Mirai Hall in Yokohama mit Pinchas Zukerman, Lynn Harrell und Vladimir Ashkenazy:

www.youtube.com/watch

Und zum Schluss noch das legendäre Beaux Arts Trio in der Besetzung mit Ida Kavafian, Peter Wiley und Menahem Pressler, der im vergangenen Mai im Alter von 99 Jahren verstarb, der Mitschnitt entstand im Reitstadel Neumarkt in der Pfalz:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen ein schönes Wochenende mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von sd