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19.07.2024 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 655

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

eine der wichtigsten Opern in der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts ist "Peter Grimes" von Benjamin Britten. Sie wurde am 7. Juni 1945 im Sadler's Wells Theater in London uraufgeführt, die amerikanische Erstaufführung leitete bereits 1946 der junge Leonard Bernstein im Rahmen des Tanglewood Music Festivals. Die Geschichte des ungeliebten Fischer Peter Grimes machte den Komponisten Mitte des 20. Jahrhunderts international bekannt.

Britten ging 1939 in die USA und ließ sich in New York nieder, wo er sich mehr Toleranz gegenüber seiner Homosexualität erhoffte. In dieser Zeit lernte er den Versroman "The Borough" des anglikanischen Geistlichen George Crabbe kennen, in dem dieser die Einwohner eines Fischerdorfes in Suffolk, einer Grafschaft nordöstlich von London, schildert. Britten stammte aus der Nähe und verarbeitete so auch seine Sehnsucht nach der Heimat und sein Außenseitergefühl als zur Heimlichkeit gezwungener Homosexueller in seiner Komposition. Montagu Slater adaptierte die Episode aus dem Crabbe-Roman für das Libretto und arbeitete dem Komponisten geschickt in die Hände. Britten schuf die Oper, mit deren Stoff er sich schon 1939-42 beschäftigt hatte, zwischen Januar 1944 und Februar 1945.  

„Diese kleine Ecke Englands, in der ich geboren bin und wo ich so viele Jahre meines Lebens verbracht habe - Suffolk mit seiner lieblichen Hügellandschaft, mit seinen erhabenen gotischen Kirchen, großen und kleinen; mit seinen Marschen und ihren wilden Seevögeln, seinen großen Häfen und kleinen Fischerdörfern - ich bin in dieser herrlichen Grafschaft fest verwurzelt.“ Dies bekannte der britische Komponist Benjamin Britten einmal, und so nimmt es nicht wunder, dass diese tiefen Eindrücke auch in seine Werke einfließen. In Aldeburgh besaß Britten Grundstück und Haus. Dort betreute er auch ein eigenes Festival. Von der geschätzten Küstengegend an der Nordsee hat er sich immer nur widerwillig getrennt. Seine Oper "Peter Grimes" ist eine tönende Hommage an eben jene Gegend in Ostengland.

Im Zentrum der Bühnenhandlung, die um das Jahr 1830 spielt, steht der Konflikt zwischen dem ungeliebten Fischer Peter Grimes und der Dorfgemeinde, in der er lebt. Peter Grimes ist Fischer in einem kleinen Ort an der englischen Ostküste - ein eigenbrötlerischer und schnell aufbrausender Außenseiter, der sich von allen unverstanden und nur mit dem Meer verbunden fühlt. Ein Unglücksfall auf seinem Boot wird Grimes zum Verhängnis. Nachdem sein Lehrling auf See ums Leben gekommen ist, wird Grimes wegen fahrlässiger Tötung angeklagt, aus Mangel an Beweisen jedoch freigesprochen. Doch der Verdacht bleibt bestehen, die Dorfgemeinschaft misstraut ihm weiterhin. Als auch sein neuer Lehrling auf tragische Weise verunglückt, entzieht sich Grimes der drohenden Lynchjustiz der Dorfbewohner durch Freitod: Er geht ins Meer.  

Dass sich um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert mehrere englische Komponisten innerhalb ihres Mediums kreativ mit dem Meer auseinandergesetzt haben - Edward Elgar, Frederick Delius, Ralph Vaughan Williams -, wirft ein charakteristisches Licht auf die naturgemäß durch das Wasser geprägte Erlebniswelt der Insulaner, zumindest der Küstenbewohner. Brittens konzentrierte, quasi filmische Stimmungsbilder weisen untereinander motivisch-thematische, aber auch formale Gemeinsamkeiten auf. Das ruft den Eindruck zyklischer Zusammengehörigkeit hervor.

Die Oper gliedert sich in Prolog und drei Akte. Jeder von ihnen enthält ein Präludium (Vorspiel) und ein Interludium (Zwischenspiel). Für die Konzertfassung der "Four Sea Interludes", die sich verselbständigt hat, setzte Britten alle drei Vorspiele und eines der drei Zwischenspiele neu zusammen, wobei er das Zwischenspiel aus dem ersten Akt an den Schluss der "Four Sea Interludes" stellte. Die modifizierte Abfolge der Stücke lässt eine balladeske, kontrastiv crescendierende Dramaturgie zustande kommen. Atmosphärisch äußerst dicht. Die Objekte klanglicher Imagination und Deskription sind für Britten: Dämmerung ("Dawn"), Sonntagmorgen ("Sunday Morning"), Mondlicht ("Moonlight") und Sturm ("Storm"). Die "Four Sea Intereludes" füge ich hier als Einstimmung auf die gesamte Oper gerne hier ein, es spielt das NDR-Jugendsinfonieorchester unter der Leitung von Garrett Keast, der Mitschnitt entstand 2017 in der Hamburger Elbphilharmonie:

www.youtube.com/watch

Die Uraufführung von "Peter Grimes" war ein überwältigender Erfolg, die Rolle des Peter Grimes hatte Benjamin Britten für seinen Lebensgefährten, den Tenor Peter Pears, komponiert.  Das Werk machte Benjamin Britten zu einem der führenden englischen Komponisten seiner Zeit - und bis in die Gegenwart. Später folgten noch "A Midsummer Nights Dream", "Death in Venice", "Billy Budd", "Albert Herring", "The Rape of Lucretia" und "The Turn of the Screw".

Unser heutiger Mitschnitt kommt aus dem Teatro Communale in Bologna, die Hauptpartien sind mit Ian Story (Peter Grimes), Charlotte-Anne Shipley (Ellen Orford),  Mark S. Doss (Captain Balstrode), Gabriella Sborgi (Auntie), Paolo Antognetti (Bob Boles), John Molloy (Swallow), Saverio Bambi (Rev. Horace Adams) und Luca Gallo (Hobson) besetzt. Chor und Orchester des Teatro Communale musizieren unter der Leitung von Juraj Valčuha, die Inszenierung stammt von Cesare Lievi:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen ein schönes Wochenende mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler


Prolog
Unter dem Vorsitz des Bürgermeisters Swallow befasst sich eine gerichtliche Untersuchung mit dem Tod eines Jungen, der als Gehilfe bei dem Fischer Peter Grimes auf See umgekom­men ist. Obwohl das Dorf Grimes unterschwellig unterstellt, den Jungen misshandelt und seinen Tod in Kauf genommen zu haben, fällt Anwalt Swallow sachlich sein Urteil: Unfall mit Todesfolge. Grimes wird zur Auflage gemacht, zukünftig nur noch ausgebildete Fischer anzuheuern. Peter begehrt gegen das Urteil, das seinen finanziellen Ruin bedeutet, und gegen das Gerede im Dorf auf. Nur die Lehrerin Ellen Orford hält zu ihm.

Zwischenspiel I: Morgendämmerung

1. Akt
Die Bewohner des Ortes treffen aufeinander: die Wirtin Auntie mit ihren beiden "Nichten", der ehemalige Hochseekapitän Balstrode, der Pastor Horace Adams, der Anwalt Swallow, der eifernde Methodist Bob Boles, die reiche, dem Opium verfallene Kaufmannswitwe Mrs. Sedley, der Apotheker Ned Keene und der Fuhrmann Hobson. Als Grimes vom Fischfang zurückkehrt, sind nur Balstrode und Ned Keene bereit, ihm beim Einholen seines Bootes zu helfen. Keene hat Grimes einen neuen Lehrjungen aus dem Waisenhaus besorgt. Fuhrmann Hobson lehnt es zunächst ab, den Jungen zu holen. Erst als Ellen Orford sich bereit erklärt, das Kind unterwegs zu betreuen, stellt Hobson seinen Wagen zur Verfügung. Ein Sturm zieht auf. Während sich die Dorfbewohner in Sicherheit bringen, stellt Balstrode Grimes zur Rede und empfiehlt ihm, das Dorf zu verlassen oder Ellen zu heiraten. Doch Peter will nicht aus Mitleid genommen werden, sondern erst, wenn er durch Fischfang reich geworden ist.

Zwischenspiel II: Der Sturm

In Aunties Kneipe suchen alle Schutz vor dem Sturm, auch Peter erscheint. Er gerät mit dem fanatischen Methodisten Bob Boles in Streit. Als Ned Keene einen Rundgesang anstimmt, entspannt sich die Stimmung. Ellen und Hobson bringen den neuen Lehrjungen. Grimes will ihn auf der Stelle mit nach Hause nehmen und zieht ihn - unter dem Protest des Dorfes - hinaus in die Nacht.

Zwischenspiel III: Sonntagmorgen

2. Akt
Während die Dorfbewohner in der Kirche sind, versucht Ellen den Jungen zum Sprechen zu bringen, aber er sagt nichts. Ellen fürchtet, dass Grimes ihn grob behandelt, und ein blauer Fleck am Hals des Jungen scheint ihre Sorge zu bestätigen. Als Grimes den Jungen zum Fisch­fang abholen will, kommt es zur Auseinandersetzung mit Ellen. Sie besteht darauf, dass der Junge Anrecht auf einen Tag Ruhe habe. Peter will davon nichts wissen. In seiner Erregung schlägt er Ellen und eilt mit dem Jungen davon. Mrs. Sedley hat die Szene beob­ach­tet. Die Dorfgemeinschaft beschließt, etwas gegen Grimes zu unternehmen. Die Männer machen sich auf den Weg zu seiner Hütte.

Zwischenspiel IV: Passacaglia

In der Hoffnung auf einen großen Fischfang treibt Grimes den Jungen bei den Vorbe­rei­tun­gen zur Ausfahrt zu großer Eile an. Dabei rutscht der Junge aus und stürzt schreiend ab. Grimes klettert schnell hinterher. Die Männer des Dorfes finden Grimes’ Behausung verlassen vor.

Zwischenspiel V: Mondlicht

3. Akt
Das Dorf feiert. Mrs. Sedley erzählt Ned Keene von ihrem Verdacht, dass Grimes seinen Lehr­­jungen umgebracht habe. Ellen und Balstrode haben den Pullover des toten Jungen entdeckt. Gemeinsam wollen sie Grimes finden und ihm helfen. Mrs. Sedley wiegelt die Gemeinde gegen Grimes auf. Zum zweiten Mal bricht man – nun aber bewaff­net – auf, um Grimes zur Rechenschaft zu ziehen.

Zwischenspiel VI

Ellen und Balstrode finden den erschöpften, halb wahnsinnigen Grimes. Balstrode rät ihm, sein Boot zu versenken. Der Tag bricht an, im Dorf geht man wieder seinen Geschäften nach. Draußen auf dem Meer versinkt ein Boot.

Beitrag von sd