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12.02.2024 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 588

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

Johann Sebastian Bachs beliebtes Konzert für zwei Violinen d-Moll BWV 1043 ist unser heutiges Musikstück.

Lange hat man angenommen, Bach habe das Violinkonzert noch in den Dienstjahren in Köthen geschrieben, als er dort Hofkapellmeister war. Doch inzwischen deutet vieles darauf hin, dass es erst um 1730 in Leipzig entstand. Denn hier gab es etwas, das Bach nach langer Zeit endlich wieder so richtig Freude machte: das Collegium Musicum, ein Orchester aus Studierenden, das er gerade erst übernommen hatte. In diesem Studentenorchester saßen viele hochtalentierte Jungmusiker, auch seine eigenen Söhne Wilhelm Friedemann und Carl Philipp Emanuel. Sie trafen sich jede Woche zum Konzertieren, Freitagabends um acht in Zimmermanns Kaffeehaus in der Katharinenstraße. Oder im Sommer schon um vier Uhr nachmittags, draußen in Zimmermanns Kaffeegarten vor dem Grimmaischen Tor.  

Die Besetzung des Doppelkonzerts mit zwei gleichwertigen Soloinstrumenten prägt die Form der drei Sätze. Der Dialog spielt sich zwischen den beiden Soloinstrumenten, aber auch zwischen Solisten und Orchester ab, wie beim Concerto grosso im Stil von Vivaldi. Immer wieder verschmelzen die Solostimmen, so dass man sie kaum auseinanderhalten kann. Besonders bewegend ist der langsame Satz, ein Tanzsatz im Siciliano-Rhythmus. Das Orchester begleitet zurückhaltend, während die beiden Solostimmen darüber zu schweben scheinen.

Nicht nur die Instrumentation ist entscheidend für den Charakter des Werkes, denn Bach orientierte sich in seinem Doppelkonzert auch an den Concerti von Arcangelo Corelli. Dieser verwendete Formen wie Fuge und Kanon in seinen Trio-Konzerten. Gleich der erste Satz in Bachs Doppelkonzert beginnt mit einer breiten Fugenexposition. Auch der dritte Satz beginnt mit einem Kanon. Die beiden Geigenstimmen imitieren sich in sehr schnell aufeinander folgenden Einwürfen. Der zweite Satz ist ein inniges Zwiegespräch zwischen zwei einfachen und schlichten Geigenstimmen - auch dies ist ein Kanon: ausschweifend, abgeklärt. Es fehlt ihm die Schwere, die ein Largo so oft mit sich bringt, denn er ist in die Form eines Sicilianos gekleidet. Kennzeichen: liebliche, schmerzhaft-süßliche Melodie, wiegender Rhythmus im 12/8-Takt, die erste Note des Themas jeweils langgezogen.

Mit einfachen Mitteln das Publikum betören, darin war Bach ein Meister. Das Doppelkonzert ist ein harmonisches, sehr freundschaftliches Zusammenspiel, das nichts mit einem typischen "Concerto grosso"-Streitkampf zu tun hat. Und das ist vielleicht das Tröstliche an der Musik von Johann Sebastian Bach: ihre humanistische Ausstrahlung. Verschiedene Stimmen bahnen sich in freundlichem Miteinander ihren Weg durch das musikalische Geschehen. Sie nehmen sich zur Kenntnis, gehen aufeinander ein, und lösen sich wieder, um ihren Weg weiterzuverfolgen. Wie innere Stimmen, die alle zu ihrem Recht kommen. Zugleich sind sie Teil einer höheren Ordnung, eines ganz ausgewogenen Harmonie- und Struktursystems, in einem Miteinander von Sinnlichkeit und Vernunft. Das Miteinander der Stimmen muss sich nicht immer so innig gestalten wie im Largo. Es kann auch zum sportlichen Wettspiel ausarten, wie im stürmischen Schlusssatz. Wild ranken sich die beiden Solostimmen umeinander, jagen sich tänzerisch im Abstand von Viertelnoten. Viel scheint auf dem Spiel zu stehen. Ein Hin und Her, in dem sich die beiden Solisten immer mehr mit Energie volltanken. Und doch bleiben sie miteinander im Gleichgewicht.

Meine Empfehlungen für heute: Janine Jansen und Leonidas Kavakos mit dem Verbier Festival Orchestra, aufgezeichnet am 30. Juli 2013:

www.youtube.com/watch

Isaac Stern und Gil Shaham, gemeinsam mit dem Israel Philharmonic, aufgezeichnet im Fredric R. Mann Auditorium in Tel Aviv am 26. Dezember 1997, dem 60. Geburtstag des Israel Philharmonic:

www.youtube.com/watch

Und zuletzt noch ein historischer Mitschnitt vom Oktober 1958 aus Paris mit David Oistrach und Yehudi Menuhin und dem Orchestre Chambre de l'ORTF unter der Leitung von Pierre Capdevielle:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von sd