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26.05.2021 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 178

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

Verrat, verlorene Ehre, Schuld und Sühne, leidenschaftliche, grenzüberschreitende Liebe und das Verlangen nach Tod und Vergessen: die Geschichte von Tristan und Isolde, aus keltischen Wurzeln im Verlauf der Jahrhunderte zum Mythos gewachsen, faszinierte Dichter, Poeten und Musiker gleichermaßen. Richard Wagner inspirierte sie zu seinem „opus metaphysicum“ (Friedrich Nietzsche), einem Werk, das wie ein Monolith sein künstlerisches Schaffen überragt. Nicht die ganze Oper, gerne aber die Quintessenz des Werkes (die ersten und die letzten acht Minuten) möchte ich Ihnen heute hier vorstellen: Vorspiel und Isoldes Liebestod aus Richard Wagners "Tristan und Isolde".

Musikalisch hochromantisch und doch zugleich die Schwelle zur Moderne überschreitend, lässt Wagner sein Paar von Anfang an mit existentieller Unerbittlichkeit in ein auswegloses Dilemma laufen. Denn die Liebe der beiden ist ganz und gar unvermeidlich, aber auch ganz und gar unmöglich: Tristan, jener "traurige Mann", der bereits bei seiner Geburt den Tod seiner Mutter verursacht hat, liebt Isolde, und doch hat er sie seinem König als Braut zugeführt. Er begeht damit einen Treuebruch, der diese Liebe von Anfang an unter düstere Vorzeichen stellt und ihn vor sich selbst als ehrlos entlarvt. Und auch Isolde geht nicht schuldlos in die verbotene Beziehung, hat sie doch Tristan, den Mörder ihres Verlobten Morold, verschont statt ihn zu töten: Ein einziger Blick Tristans genügte. Wie eine Fremde bewegt sie sich in ihrem Leben, ihrer vertrauten, häuslichen Welt.

"Tristan und Isolde" besitzt nicht nur innerhalb von Wagners Gesamtwerk eine Ausnahmestellung, sondern es hat bis zum heutigen Tag durch seine kompromisslose, Grenzen überschreitende Darstellung einer obsessiven, alles umfassenden und bestimmenden Liebesbeziehung seine Hörer verstört und fasziniert. Literaten, Philosophen, Psychologen haben sich an dem Werk abgearbeitet, Komponisten und Musiker haben es analysiert, ohne jedoch all seinen Rätseln auf die Spur zu kommen. Diese Oper, nach einem Mythos entstanden, ist selbst zum Mythos geworden.

Auf der Fahrt von Irland nach Cornwall, in sagenhafter Zeit: Tristan bringt die irische Königstochter Isolde auf seinem Schiff nach Cornwall. Sie soll seinen Onkel, König Marke, heiraten, um den Frieden zwischen beiden Ländern zu besiegeln. Isolde hatte Tristan einst gesund gepflegt und empfindet seitdem eine starke Zuneigung zu ihm. Da diese Liebe nicht sein darf, beschließt sie, für sich und Tristan einen Todestrank zu bereiten. Isoldes Vertraute Brangäne reicht ihnen jedoch einen Liebestrank, der bei beiden eine überwältigende Leidenschaft füreinander erweckt. Auf Markes Burg trifft sich Isolde, inzwischen Gemahlin des Königs, erneut mit dem Geliebten. Der König und Melot überraschen die beiden. Der König ist zu erschüttert, um Rache zu üben, Tristan lässt sich jedoch von Melot schwer verwunden. Sein Getreuer Kurwenal bringt Tristan auf die Burg seines Vaters in die Bretagne. Isoldes Schiff naht, Tristan wankt der Geliebten entgegen und stirbt in ihren Armen. Zu spät erscheint Marke, der von Brangäne das Geheimnis des Liebestrankes erfahren hat, um die Liebenden zu vereinen. Kurwenal und Melot geben sich gegenseitig den Tod. Isolde folgt dem Geliebten in das Reich der Nacht.

Diese dürre „Handlung“ wird durch eine lange, blutige Vorgeschichte, durch eine psychisch gereizte, mit Elementen der lebensfeindlichen, todessüchtigen Philosophie Arthur Schopenhauers angereicherte Dichtung und vor allem durch eine klangtrunkene, rauschhafte, alle Grenzen übertretende Musik zu einem Seelendrama von unwiderstehlicher Ausstrahlung. „Kind, dieser Tristan wird fürchterlich!“, schrieb Wagner seiner Muse Mathilde Wesendonck. Den Protagonisten, dem Orchester und dem Publikum wird viereinhalb Stunden lang viel abverlangt!

Das Vorspiel beginnt langsam und schmachtend mit einer sehnsüchtigen Geste in den Violoncelli, die sich in einer schmerzhaften Kadenz in den Holzbläsern löst: der „Tristan-Akkord“... für sich genommen ist er ein weicher gis-Moll-Quintsextakkord, aber in diesem Zusammenhang wirkt er wie eine harte Dissonanz. Viele Komponisten haben die Tristan-Musik weitergedacht. Lässt Wagner Konsonanzen dissonant wirken, so lässt Alban Berg Dissonanzen konsonant wirken. Das Vorspiel steht in a-Moll, aber von seiner Tonalität ist nur der erste auftaktige Ton „a“ geblieben - könnte man da den Bezug zu einer Tonart nicht aufgeben? Kaum ein Detail der europäischen Musik hat die Gemüter der Kenner so sehr erregt wie dieser Tristan-Akkord. Es ist zweifelsohne ein Wendepunkt; die Entwicklung der europäischen Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts wäre ohne diesen Akkord nicht denkbar.

Das Tristan-Vorspiel, in dem der Akkord bereits in vielfacher Weise präsentiert wird, ist ein Werk von singulärer Dichte und außerordentlicher erotischer Suggestivkraft. Da Wagner erhebliche Probleme hatte, die hochkomplexe und technisch äußerst anspruchsvolle Oper, die 1859 vollendet war, auf die Bühne zu bringen, führte er das Vorspiel zunächst bei verschiedenen Konzerten gesondert auf. Erstmals im Jahre 1863 verband er es dabei mit dem „Schlusssatz“ der Oper, den er auch als „Verklärung“ bezeichnete. Zusammen mit diesem Teil, der erst nach Wagners Tod die Bezeichnung „Liebestod“ erhielt, hat es sich unter der Bezeichnung „Vorspiel und Liebestod“ gewissermaßen als orchestrale Kurzform der Oper in den Konzertsälen etabliert.

27. August 2006, Berliner Philharmonie: Beethovens neunte Sinfonie war gerade verklungen, als sich Daniel Barenboim noch für eine Zugabe entschloss: Das West Eastern Divan Orchestra spielte Vorspiel und Isoldes Liebestod aus Wagners "Tristan und Isolde" - es blieb allerdings nicht bei der reinen Orchesterfassung. Waltraud Meier, eine der bedeutendsten Wagner-Interpretinnen, zählte zu Recht als berühmteste Isolde-Interpretin unserer Zeit und begeisterte bis 2014 über 20 Jahre hinweg nicht nur als Sängerin, sondern auch als Darstellerin dieser Partie. Die Ausnahmekünstlerin ist hier als Isolde mit dem Liebestod zu sehen:

www.youtube.com/watch

Und zum Abschluss noch ein besonderes Filmdokument: Die Dokumentation "Karajan in Salzburg" zeigt Herbert von Karajan in Proben- und Konzertausschnitten bei den Salzburger Festspielen im Jahr 1987. Für das Wagner-Konzert mit den Wiener Philharmonikern hatte er nur für Isoldes Liebestod eine besondere Sängerin verpflichtet: Jessye Norman, zu sehen in den folgenden beiden Links, die sich trotz der nicht optimalen Bildqualität lohnen:

www.youtube.com/watch

www.youtube.com/watch

Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Urlaubsgrüßen aus Potsdam

Matthias Wengler

Beitrag von red