Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
Johannes Brahms komponierte vier Sinfonien - die fünfte stammt von Arnold Schönberg: Seine Orchesterversion von Brahms' Klavierquartett Nr. 1 g-Moll op. 25 ist unser heutiges Musikstück.
Als der Dirigent Otto Klemperer 1937 in Los Angeles dieses Werk zur Uraufführung brachte, sprachen tatsächlich manche von Brahms‘ "fünfter Sinfonie". Denn was der im US-amerikanischen Exil lebende Komponist Arnold Schönberg aus Brahms‘ erstem Klavierquartett gemacht hatte, hatte das Zeug zu einem Brahms-Original im Großformat. Klemperer meinte gar: "Man mag das Originalquartett gar nicht mehr hören, so schön klingt die Bearbeitung."
Das ist natürlich maßlos übertrieben - ist doch die Vorlage von jeher bezaubernd, und wird sie doch immer wieder gern gespielt. Dies wusste natürlich auch Schönberg. Allerdings nannte er drei triftige Gründe für seine Bearbeitung: "1. Ich liebe das Stück. 2. Es wird selten gespielt. 3. Es wird immer sehr schlecht gespielt, weil der Pianist desto lauter spielt, je besser er ist, und man nichts von den Streichern hört. Ich wollte einmal alles hören, und das habe ich erreicht." Er habe den Klang des Originals einfach "auf das Orchester übertragen" wollen.
Und tatsächlich: Mitunter scheint es, als habe das Ende der 1850er-Jahre, also noch in Brahms’ jungen Jahren, entstandene und in Hamburg uraufgeführte Klavierquartett nur darauf gewartet, in eine Orchesterfassung überführt zu werden. Denn das musikalische Basismaterial, das Schönberg übrigens kaum verändert, wird gewissermaßen in Freiheit entlassen: Es entfaltet sich nicht mehr im vergleichsweise kleinen Raum von Klavier und drei Streichern, sondern breitet sich auf der Spielwiese von zahlreichen Orchesterstimmen aus. Auch wenn Schönberg (der zeitlebens mit Bearbeitungen von kleiner zu großer Besetzung und umgekehrt Geld verdiente) seine Absicht so beschrieb: "Streng im Stil von Brahms zu bleiben und nicht weiter zu gehen, als er selbst gegangen wäre, wenn er heute noch lebte": Natürlich arbeitet der Bearbeiter mit einer Instrumentierung und einer Klangmischung, die zum Teil eher im 20. als im 19. Jahrhundert zuhause sind. Insofern hätte Brahms sein Werk nie so geschrieben, wie Schönberg es orchestriert hat. Aber die Übertragung bleibt stets ehrerbietig und fällt dem Original nie in den Rücken. Im Gegenteil: Sie bringt dessen Stärken noch mehr zur Geltung.
Ohrwurmcharakter hat besonders das Finale. Brahms war seiner Leidenschaft für osteuropäische Traditionen nachgegangen und hatte diesem Rondo alla zingarese, wie der Name schon sagt, manche Tanzrhythmen der ungarischen Roma beigemengt, außerdem volkstümliche Melodien und Tempovariationen. Schönberg setzt für dieses melancholische bis wilde Treiben effektvoll Xylophon, Glockenspiel, Schellen und Trommeln ein und sorgt so für ein mitunter humorig-aufgepeitschtes Ende dieser Quasi-Sinfonie. Und auch seine Liebe zur Vorlage verbirgt er nicht: Als kleine Reminiszenz sind die Streicher auch solistisch zu erleben.
Erst kürzlich hat Christoph Eschenbach Schönbergs Orchesterversion mit dem Konzerthausorchester Berlin aufgeführt. Hier ist er mit hr-Sinfonieorchester zu erleben, der Mitschnitt entstand am 29. September 2017 in der Frankfurter Alten Oper:
Und nach der "Fälschung" noch drei Tipps für das Original: Brahms' erstes Klavierquartett war 2016 in verschiedenen europäischen Städten in Star-Besetzung zu erleben: Christian Tetzlaff (Violine), Tabea Zimmermann (Viola), Clemens Hagen (Violoncello) und Leif Ove Andsnes (Klavier):
Das Fauré Quartett trat im Dezember 2014 mit Brahms' Opus 25 in der Toppan Hall in Tokio auf:
Und zum Schluss als letzte Empfehlung noch das Notos Quartett mit ihrem Auftritt vom 16. Oktober 2015 im Auditorio Sony in Madrid:
Ihnen allen ein schönes Wochenende mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler