Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
Robert Schumann vertonte in seinem Liederkreis op. 24 ebenso wie in dem weitaus bekannteren Zyklus "Dichterliebe" Texte von Heinrich Heine - heute soll es um den "kleinen Heine-Liederkreis" gehen.
Schumanns 1840 entstandener Liederkreis op. 24 steht am Anfang von Schumanns umfangreichen Liederschaffen und bildet den Auftakt zu seinem sogenannten „Liederjahr“. In diesem schicksalhaften Jahr erreichte Schumanns Kampf um seine Angebetete Clara Wieck seinen Höhepunkt. Dass er zu einem guten Ende führen würde und die beiden schließlich doch heiraten können würden, war zu dem Zeitpunkt, als diese Lieder entstanden, noch nicht abzusehen.
In den Jahren zuvor hatte Schumann fast ausschließlich Klaviermusik komponiert und sich in seinen Ausdrucksmöglichkeiten mehr und mehr eingeschränkt gefühlt. Als er schließlich die Lyrik Heinrich Heines und dessen "Buch der Lieder" für sich entdeckt, ist es, als ob sich ein Knoten löst; der Liederkreis op. 24 ist schwärmerischer erster Ausdruck einer neuen Hochstimmung Schumanns und eines bislang kaum gekannten Tatendrangs. "Ach, Clara, was das für eine Seligkeit ist, für Gesang zu schreiben; die hatte ich lang entbehrt", schreibt Schumann an seine Braut. Noch im selben Jahr 1840, das künstlerisch und privat so wichtig ist für den Komponisten, wird er Clara heiraten. Thematisch erzählen die Lieder zwar eine fortlaufende Geschichte, doch scheint Schumann hauptsächlich an emotionalen Kontrasten interessiert. Es geht um Sehnsucht, Liebesschmerz, Hoffnung, Einsamkeit und Abschied. Schumann fühlte sich wahrscheinlich seinem Textdichter Heine innerlich sehr verwandt, denn auch dessen Lebensthema, das sein dichterisches Schaffen wie ein roter Faden durchzog, war, die Theodor W. Adorno meint, die „hoffnungslose Liebe“.
Das erste Lied Morgens steh ich auf mit seiner gegenläufigen Begleitung spielt unverkennbar auf Schumanns Trennung von Clara an, die weit weg von ihm in Berlin lebte. Das kurze Vorspiel zu Es treibt mich hin greift Material aus dem ersten Lied auf und stellt den Verliebten dar, der immer noch ungeduldig auf die Rückkehr seiner Angebeteten wartet. Die Ungeduld weicht in Ich wandelte unter den Bäumen einer Sehnsucht nach vergangener Liebe, die Schumann in einem langsamen Viervierteltakt zum Ausdruck bringt. Das Nachspiel greift die sehnsuchtsvolle Musik des Vorspiels wieder auf. In Lieb’ Liebchen vergleicht der Poet seinen Herzschlag mit den Hammerschlägen eines Schreiners, der seinen eigenen Sarg zimmert - ein Bild, das Schumann, der sich schon seit seiner frühen Jugend mit dem Tod beschäftigte, gefiel.
Wie in dem Zyklus "Dichterliebe" schlägt die anfängliche liebevolle Stimmung auch in diesem Zyklus um. Schöne Wiege meiner Leiden zeigt Heine so verbittert wie nie zuvor und bezieht sich auf den Alptraum, den er in Hamburg erlitten hatte, wo ihn seine Cousine Amalie abwies und sich über seine Gedichte lustig machte. Sicherlich war es die eigene Zurückweisung durch Claras Vater Friedrich Wieck, die Schumanns Faszination für dieses lange Gedicht weckte und ihn zu einer seiner schönsten Melodien inspirierte. In Warte, warte, wilder Schiffmann setzt sich die Atmosphäre von Verachtung und Enttäuschung fort. Amalie wird mit Eris, der Göttin der Zwietracht, verglichen, und Schumann verarbeitet dieses Hassthema, indem er auf dem Klavier eine abgehackte Abfolge von Oktaven spielen lässt, die den verschmähten Liebhaber auf seiner Flucht vor der Angebeteten begleiten. Die Ambivalenz der Stimmung des Dichters in Berg’ und Burgen schau’n herunter lässt Schumann unberücksichtigt und verarbeitet das Gefühl von Täuschung und Verrat lediglich in der kontinuierlich schwappenden Bewegung der Wellen auf dem Klavier und der wunderbar lieblichen Melodie der Singstimme. Doch im nächsten Lied Anfangs wollt’ ich fast verzagen setzt er beeindruckend das Kummerthema mit kräftigen Bassakkorden des Klaviers um, die auf Bachs Choral „Wer nur den lieben Gott läßt walten“ fußen.
Der Zyklus endet mit Mit Myrten und Rosen, dem wohl berühmtesten Lied des Zyklus, den die Edition Peters ungeschickt zusammen mit weiterem musikalischem Zuckerwerk als Band 1 veröffentlichte und damit den Liederkreis op. 24 auseinander riss. Die Melodie an der Stelle „fernen Land“ ist an Beethovens „An die ferne Geliebte“ angelehnt - wie groß muss Schumanns Hoffnung gewesen sein, dass seine eigene Angebetete bald ihren Vater vom Widerstand gegen ihre Verbindung abbringen würde und sie als Mann und Frau zusammenleben könnten! Schließlich heiratete er Clara doch noch, am 12. September 1840, ungefähr fünf Monate nach der Vollendung des Heine-Liederkreises, in der Dorfkirche von Schönefeld bei Leipzig.
Liedlegende Dietrich Fischer-Dieskau hat Schumanns Liederkreis op. 24 gemeinsam mit dem Pianisten Hartmut Höll im Mai 1992 im Staatstheater Nürnberg aufgeführt:
Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler