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11.08.2023 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 515

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

vor zwei Jahren feierte eine der beliebtesten deutschen Opern einen runden Geburtstag: Am 18. Juni 1821 wurde im neu eröffneten Berliner Schauspielhaus am Gendarmenmarkt (heute: Konzerthaus) Carl Maria von Webers Oper "Der Freischütz" uraufgeführt. Mit diesem Werk hat Weber zugleich auch quasi im Alleingang die deutsche romantische Oper begründet.

Weber war zu dieser Zeit Hofkapellmeister in Dresden - nicht in Berlin, wo an der Staatsoper Gaspare Spontini das musikalische Regime führte und gegen Weber intrigierte; dessen Unterstützer konnten sich aber durchsetzen. Die Vorlage zum "Freischütz" ist eine als Volkssage bezeichnete Geschichte aus dem 1811 publizierten "Gespensterbuch" von August Apel und Friedrich August Schulze. Vor Weber und seinem Librettisten Johann Friedrich Kind hatten schon andere den Stoff für die Bühne bearbeitet. Weber und Kind begannen 1817, und im Mai 1820 war die Partitur abgeschlossen.

Wie üblich entstand die Ouvertüre zuletzt. Sie beruht zum Teil, aber nicht ausschließlich auf Themen, die danach in der Oper wiederkehren. Sie zeichnen aber den zentralen Handlungsstrang, den Kampf zwischen Gut und Böse (in der Form schwarzer Magie) nach. Insofern kann man die Ouvertüre als komprimierte Tondichtung über den "Freischütz"-Stoff ansehen. Als Appetizer auf das ganze Werk hier zunächst die Ouvertüre mit den Berliner Philharmonikern unter der Leitung von Herbert von Karajan in einem Konzertmitschnitt aus dem Jahr 1975:

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Zum Vergleich: Christoph Eschenbach mit dem SWR-Symphonieorchester, aufgezeichnet im Mai 2019 in der Stuttgarter Liederhalle:

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"Der Freischütz" handelt vom Jägersburschen Max, der einen fürstlich angeordneten Probeschuss bestehen muss, um seine geliebte Agathe heiraten zu können. Aus Angst vor einem Fehltreffer, lässt sich Max von seinem Jäger-Kollegen Kaspar dazu überreden, sogenannte Freikugeln zu gießen. Diese sind zwar ein Werk des Teufels, treffen aber jedes gewünschte Ziel. Jahrelang spukte Weber die Idee zu einer Oper über diesen schaurig-romantischen Stoff im Kopf herum, bis er in Johann Friedrich Kind einen geeigneten Librettisten fand.

Neben den Solisten und allerlei Schützen-, Jäger- und Brautjungfernchören steht der Wald im Mittelpunkt des Geschehens: als Schauplatz des Kampfes zwischen den Kräften des Lichts und der Dunkelheit. Vor seiner Kulisse entfaltet sich auch die Wolfsschluchtszene, jener Höhepunkt in der Mitte der Oper, wenn um Mitternacht zum Gesang der Geisterchöre die teuflischen Freikugeln gegossen werden.

Der Saal im Schauspielhaus am Gendarmenmarkt brodelte, als sich am 18. Juni 1821 erstmals der Vorhang für den „Freischütz“ hob. Man beging den sechsten  Jahrestag der Schlacht von Waterloo. Unter dem Eindruck des in den Freiheitskriegen neu erstarkten Nationalbewusstseins wurde das Stück ein voller Erfolg. Auch Dank der einfachen Weisen im Volkston, mit denen Weber gleich mehrere Hits landete. Bald gab es Freischütz-Bier und Freischütz-Bänder, sowie zahllose Freischütz-Bearbeitungen für den Hausgebrauch. Und bald sang laut Heinrich Heine ganz Berlin den „Freischütz“: „Das Kasparlied und der Jägerchor wird wohl dann und wann von einem illuminierten Studenten oder Fähndrich zur Abwechslung in das Gesumme hineingebrüllt; aber der Jungfernkranz ist permanent; (…) aus allen Häusern klingt er mir entgegen; jeder pfeift ihn mit eigenen Variationen.“

Im „Freischütz“ stellt Weber die Musik ganz in den Dienst des dramatischen Ausdrucks. Er bedient sich dabei verschiedener Traditionen: So entstammt die Rachearie des Kaspar der italienischen Oper, während das Melodram der Wolfsschluchtszene zu den Höhepunkten der französischen Oper zählt. Gleichwohl wurde das Werk gefeiert als Geburt einer „nationalen deutschen Oper“, als „musikalischer Befreiungsschlag“ von der bis dahin allseits präsenten italienischen Oper. Die verglich Weber einmal mit einer charakterlosen Gestalt, der es nur darum gehe, süße Melodien zu verbreiten. Weber verfolgte hingegen eine Idee, auf die Richard Wagner 40 Jahre später in seinem Konzept des Gesamtkunstwerks zurückkommen sollte: „Wo bei den andern es meist auf die Sinnenlust einzelner Momente abgesehen ist, will der Deutsche ein in sich abgeschlossenes Kunstwerk, wo alle Teile sich zum schönen Ganzen runden und einen.“ Innerhalb weniger Jahrzehnte sollte der „Freischütz“ auf deutschsprachigen Bühnen zur meistgespielten Oper avancieren.

Meine heutigen Empfehlungen kommen aus Dresden und Ludwigsburg: Im April 2015 feierte die Inszenierung von Axel Köhler an der Dresdner Semperoper ihre Premiere, die Besetzung: Michael König (Max), Georg Zeppenfeld (Kaspar), Albert Dohmen (Kuno), Sara Jakubiak (Agathe), Christina Landshamer (Ännchen), Adrian Eröd (Ottokar), Sebastian Wartig (Kilian), Andreas Bauer (Eremit), Staatsopernchor Dresden und Staatskapelle Dresden unter der Leitung von Christian Thielemann:

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Und zum Vergleich noch eine Inszenierung, die 1988 vor allem wegen des Regisseurs große Begeisterung ausgelöst hat: Nachdem seine erste Operninszenierung ("Martha" von Friedrich von Flotow) so erfolgreich war, ließ sich Loriot ein zweites Mal überreden, Regie bei einer Oper zu führen. In den Hauptpartien sangen damals Michael Ebbecke (Ottokar), Waldemar Wild (Kuno), Nancy Johnson (Agathe), Ulrike Sonntag (Ännchen), Siegmund Nimsgern (Kaspar), Uwe Heilmann (Max), Carsten H. Stabell (Ein Eremit), Thomas Mohr (Kilian), Albrecht C.Dennhardt (Samiel) sowie Chor und Orchester der Ludwigsburger Festspiele unter der Leitung von Wolfgang Gönnenwein:

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Ihnen allen ein schönes Wochenende mit herzlichen Urlaubsgrüßen von der Nordsee

Matthias Wengler


Handlung

Erster Aufzug
Der Jäger Max wird von anhaltendem Schusspech verfolgt. Obwohl er zu den besten Schützen des Dorfes gehört, trifft er nichts mehr. Er steht unter großem Druck, denn er will Agathe, die Tochter des Erbförsters Kuno, heiraten. Bedingung für diese Hochzeit ist ein öffentlich abgelegter Probeschuss. So will es ein alter Brauch: Nur wem der Probeschuss gelingt, darf die Försterstochter heiraten und die Försterei erben.
Auch beim großen Sternschiessen hat Max versagt. Der Bauer Kilian hat ihn besiegt und ist der neue Schützenkönig. Das Volk feiert den Sieger und verspottet den Verlierer Max.
Der Erbförster Kuno setzt der immer aggressiver werdenden Verhöhnung ein Ende. Auf Bitten Kilians erzählt er noch einmal, wie es zur Tradition des Probeschusses kam: In alten Zeiten pflegte man Wilderer zur Strafe auf einen Hirschen zu binden. Ein Vorfahre Kunos im Försteramt wurde Zeuge einer solchen Szene, bekam Mitleid und versprach dem Schützen, der den Hirsch erlegt, ohne den Wilderer zu verletzen, das Erbe der Försterei. Der Schuss gelang, aber es ging das Gerücht um, der Schütze hätte eine teuflische Freikugel geladen. Deshalb beschloss man, dass jeder Anwärter auf die Försterei zuerst einen Probeschuss ablegen muss.
Max verzweifelt an seiner verloren gegangenen Treffsicherheit und dem drohenden Verlust seiner geliebten Agathe.
Der sinistre Jäger Kaspar nimmt Max zur Seite und redet ihm ein, sein Gewehr sei verhext. Er verleitet ihn zum Trinken und erklärt ihm, nur mit einer Freikugel werde er beim Probeschuss erfolgreich sein. Er könne Freikugeln beschaffen, man müsse sie nur gemeinsam um Mitternacht in der Wolfsschlucht gießen. Mit einer von Kaspars Kugeln erlegt Max einen in unerreichbarer Höhe fliegenden Adler. Das überzeugt diesen. Max willigt ein, um Mitternacht in die Wolfsschlucht zu kommen.
Kaspar, der einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hat, triumphiert: Vom Netz der Hölle sei Max umgarnt, nichts mehr könne ihn vor dem Fall retten.

Zweiter Aufzug
Agathe wartet am Vorabend ihrer Hochzeit im Forsthaus sehnlichst auf Max. Ein Bild des Urahnen Kuno ist von der Wand gefallen. Ännchen, eine junge Verwandte Agathes, versucht die bekümmerte Braut aufzuheitern, die sich um Max und das gemeinsame Liebesglück sorgt. Endlich erscheint Max. Doch er will gleich wieder fort. Er behauptet, einen kapitalen Hirsch geschossen zu haben, der noch in der Wolfsschlucht liege. Den müsse er nach Hause schaffen. Die bangen Frauen können ihn vom Gang an den verrufenen Ort nicht abbringen.
Kaspar wartet in der furchterregenden Wolfsschlucht auf Max. Er ruft den schwarzen Jäger Samiel. Der erscheint. Kaspars Pakt mit Samiel sieht vor, dass er ihm alle drei Jahre ein neues Opfer zuführen muss, sonst ist seine eigene Seele des Teufels. Am folgenden Tag läuft Kaspars Frist ab. Samiel gestattet den Guss von sieben Freikugeln für Max und Kaspar: "Sechse treffen, sieben äffen." Das heißt: Sechs Kugeln treffen nach dem Willen des Schützen, aber die siebente lenkt Samiel nach seinem eigenen Willen.
Max trifft in der Wolfsschlucht ein. Ihn schaudert. Er sieht den Geist seiner toten Mutter, und in einer weiteren Spukvision, wie Agathe stürzt. Kaspar vollzieht das Ritual des Freikugelgießens. Jeder Guss wird von gespenstischen Erscheinungen begleitet. Der Höllenspuk steigert sich von Kugel zu Kugel.

Dritter Aufzug
Am Morgen der Hochzeit und des Probeschusses hat Max den Fürsten Ottokar und seine Jagdgesellschaft mit treffsicheren Schüssen beeindruckt. Vier Freikugeln hat er von Kaspar bekommen, drei hat er verschossen. Die vierte hebt er sich für den Probeschuss auf. Kaspar verschießt seine drei Kugeln sinnlos, auf dass für den Probeschuss nur noch die siebente und letzte übrig bleibt.
Agathe ist in angstvoller Stimmung. Sie deutet die Albträume der vergangenen Nacht als schlechte Vorzeichen. Sie sah sich als weiße Taube, auf die Max zielte. Sie sucht Trost in ihrem Vertrauen auf Gott. Ännchen versucht sie erneut aufzumuntern mit einer scherzhaften Gruselgeschichte.
Die Brautjungfern singen Agathe ein Lied und Ännchen bringt den Jungfernkranz. Aber in der Schachtel befindet sich eine Totenkrone. Agathe beschließt, sich einen neuen Jungfernkranz winden zu lassen aus den weißen Rosen, die ihr ein frommer Eremit bei einem Besuch zum Schutz gegen Unheil geschenkt hat.
Der Augenblick des Probeschusses ist gekommen. Der Fürst zeigt auf eine weiße Taube als Ziel. Max schießt. Agathe bricht zusammen. Aber sie ist nur ohnmächtig geworden. Die Kugel hat sie nicht getroffen, durch die weißen Rosen des Eremiten war sie geschützt. Stattdessen ist Kaspar tödlich getroffen.
Max gesteht, mit Freikugeln geschossen zu haben. Fürst Ottokar verbietet ihm die Hochzeit mit Agathe und verbannt ihn aus der Dorfgemeinschaft. Wundersam erscheint der fromme Eremit und ergreift Partei für Max. Er empfiehlt, die Verbannung von Max in ein Probejahr umzuwandeln und den unmenschlichen Brauch des Probeschusses abzuschaffen.

Beitrag von sd