Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
Kammermusik von Johannes Brahms erwartet Sie in der heutigen Ausgabe, aus organisatorischen Gründen einen Tag früher als gewohnt: Das Streichsextett Nr. 1 B-Dur op. 18.
Johannes Brahms, 27 Jahre alt, komponierte es im September 1860 in Hamburg und Bonn. Als musikalisches Grußwort an den Frühling ist sein erstes Streichsextett von unübertrefflicher Wirkung, zumal in rheinischen Gefilden. Inspiriert wurde er von der lieblichen, blühenden Landschaft des Rheintals bei Bonn. In der üppigen Farbenpracht des Streicherklangs, in seiner Melodienseligkeit und seiner tänzerisch-schwingenden Lebensfreude steht es in Brahms´ Kammermusik fast einzig da - ohne die Beschwernisse und melancholischen Brechungen späterer Werke.
Das B-Dur-Sextett war das erste Werk reiner Streicherkammermusik, das Brahms drucken ließ. 20 jugendliche Streichquartette waren ihm vorausgegangen, die er sämtlich vernichtet hatte. Erst in der üppigen Besetzung mit zwei Violinen, zwei Bratschen und zwei Celli konnten sich sein konstruktiver Elan und Klangsinn ohne nagende Selbstzweifel entfalten - auf einem Terrain, auf dem Mozart und Beethoven nicht schon unerreichbar Scheinendes vorgegeben hatten. Die Uraufführung am 20. Oktober 1860 in Hannover überließ Brahms seinem Freund, dem Geiger Joseph Joachim. Dieser war es auch, der nach vorheriger Erprobung des Sextetts an Brahms schrieb: "So darf man Dir denn wieder einmal zur Vollendung eines Kunstwerks gratulieren, das seines Meisters Lob singt!"
Der erste Satz ist in der romantischen Kammermusik fast ohne Gegenstück, was das ununterbrochene Strömen herrlichster Melodien anbelangt. Man überhört dabei fast, wie kunstvoll die Motive auseinander abgeleitet sind, und auf welch souveräne kontrapunktische Weise sie verarbeitet werden. Das Andante besteht aus sechs Variationen über ein schwermütiges Thema, das von der ersten Bratsche vorgestellt wird. In den ersten drei Variationen steigert sich die Bewegung kontinuierlich bis zu wilden, wogenden Läufen im Bass. Danach erscheint das Thema in hymnischer Breite in Dur, wird in eine prickelnde Klangfläche aufgelöst und am Ende noch einmal vom ersten Cello angestimmt. Das Scherzo ist ein strahlender Tanz; sein Hauptmotiv taucht im Bass des Trios wieder auf. Zum Finale, einem Rondo von einiger Ausdehnung über ein mozartisch unschuldiges Thema, muss man nur zitieren, was Max Kalbeck begeistert notierte: „Es fährt sich doch auf dem Rhein nach Nonnenwerth und Rolandseck noch schöner als auf der Alster nach Uhlenhorst!“ Das Rondo kehrt zur gemächlichen Bewegung und zum breiten Gesang des ersten Satzes zurück.
Die Sextette wurden zu einem großen Erfolg. Neben dem Deutschen Requiem waren sie es, die dem jungen Brahms zum Durchbruch verhalfen. Während er selbst sie später als „lange, sentimentale Stücke“ nur gering schätzte, faszinieren sie heute noch das Publikum durch ihren unwiderstehlichen Klangreiz und ihre melodische Schönheit. Johannes Brahms galt den national denkenden französischen Komponisten am Ende des 19. Jahrhunderts als Inbegriff jener deutschen Instrumentalmusik, von der sie sich lösen wollten: ein Komponist, der sich bevorzugt in den abstrakten Formen der „absoluten Musik“ ausdrückte und seinen Gefühlsüberschwang hinter komplexer Kunst verbarg. Wie ungehemmt, ja geradezu schwärmerisch sich dagegen noch der junge Brahms 1860 in seinem ersten Streichsextett gegeben hatte, das hat nicht zuletzt ein französischer Kinofilm bewiesen: „Les amants“ mit Jeanne Moreau von 1958, für den Louis Malle das Sextett als Filmmusik benutzte.
Unser heutiger Konzertmitschnitt entstand im Abschlusskonzerts des International Chamber Music Festival am 30. Dezember 2019 im Utrechter TivoliVredenburg, es musizieren Janine Jansen, Boris Brovtsyn (Violine) Amihai Grosz, Gareth Lubbe (Viola) Jens Peter Maintz und Torleif Thedéen (Violoncello):
Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler