Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
der französische Komponist Edouard Lalo konnte zu Lebzeiten nur einen einzigen großen Erfolg verbuchen: seine Symphonie espagnole d-Moll op. 21 für Violine und Orchester. Seit der Pariser Uraufführung ist sie sowohl bei Geigern als auch beim Publikum sehr beliebt.
Paris, 7. Februar 1875. Der 52-jährige Edouard Lalo ist aufgeregt. Heute Abend wird bei der "Societe National" - einer Fördergesellschaft für neue französische Musik - seine Symphonie espagnole uraufgeführt. Wird das Werk sein langersehnter Erfolg? Trotz seiner 52 Jahre und einer beachtlichen Anzahl von Kompositionen ist Edouard Lalo kein bekannter Komponist in Frankreich. Oft grübelt er, ob sein Vater vielleicht doch Recht hatte, als er seiner Berufswahl ablehnend gegenüber stand. Offizier sollte der junge Edouard werden, wie alle Männer in seiner Familie. Als der Sohn sich jedoch der Musik zuwandte und nach Paris zog, um am dortigen Konservatorium Geige und Komposition zu studieren, strich der Vater jegliche Unterstützung. Fortan musste sich Lalo seinen Lebensunterhalt als Geiger und Geigenlehrer verdienen.
Mit seinen frühen Kompositionen, hauptsächlich Kammermusikwerken, hatte er wenig Erfolg. Erst in den 1870er Jahren gelang es ihm, als Komponist auf sich aufmerksam zu machen. Eine große Rolle spielte dabei die Bekanntschaft und jahrelange Freundschaft mit dem spanischen Geigenvirtuosen Pablo de Sarasate, für den Größen wie Max Bruch oder Camille Saint-Saëns Werke schrieben. 1875 wurde Edouard Lalos erstes Violinkonzert von Sarasate aufgeführt - sein erster nennenswerter Erfolg. Zwei Dinge wusste Lalo sofort: Das nächste Konzert würde er Sarasate widmen, seinem Glücksbringer. Und es würde Symphonie espagnole heißen!
Die Wahl der spanischen Thematik war bei Lalo keinesfalls zufällig. Erstens sollte das Stück von Sarasate gespielt werden, einem Vollblut-Spanier. Sarasate hatte ihn auch zu den meisten Hispanismen in der Partitur inspiriert. Zweitens floss auch in Lalos Adern spanisches Blut. Seine Mutter, eine geborene Wacquez, konnte ihren Stammbaum über mehrere Generationen spanischer Offiziere zurückverfolgen. Auch äußerlich ähnelte Lalo einem stolzen kastilischen Edelmann: dunkle Haut, schwarze Augen und feine Gesichtszüge. Und drittens war Spanien in Frankreich damals "in". Fast gleichzeitig mit der "Symphonie espagnole" wurde in Paris Bizets "Carmen" uraufgeführt.
Der Titel "Symphonie espagnole für Violine und Orchester" sagt alles über den Charakter des Werks und seine Form: Es ist eine höchst originelle Mischung aus Symphonie, Solokonzert und iberisch-folkloristischer Stimmung. Das Charakterstück ist, den außergewöhnlichen geigerischen Fähigkeiten des Widmungsträgers entsprechend, in höchstem Maß effektvoll, virtuos und besitzt die ungewöhnliche Anzahl von fünf Sätzen.
Die Orchestereinleitung bestimmt von Anfang an den Charakter des Stücks, noch bevor der Solist das Hauptthema mit den charakteristischen spanischen Rhythmen vorträgt. Der zweite Satz, Scherzando, hat einen kontrastierenden Mittelteil. Es folgt ein Intermezzo mit typisch spanischem Charakter und ein lyrischer langsamer Satz, ebenfalls mit spanischem Idiom, dessen Intensität sich steigert. Den Schluss bildet ein Rondo voll strahlender Eleganz und Charme, in dem der Solist reichlich Gelegenheit erhält, sein Können zu zeigen.
Die Uraufführung der Symphonie espagnole im Jahr 1875 war ein grandioser Erfolg. Die verwöhnten Pariser Zuhörer liebten sofort die frischen funkelnden Melodien. Dieses Werk wurde das erste prominente Beispiel für die Spanien-Begeisterung in Frankreich, deren Tradition sich fortsetzen sollte über Chabriers populäre Orchesterrhapsodie "España" bis zu Debussys "Iberia" und Ravels Rapsodie espagnole. Obwohl Edouard Lalo noch zwei weitere Violinkonzerte, ein Cellokonzert, das Ballett "Namouna" und die Oper "Le Roi d'Ys" komponierte, haben diese Werke nie den Popularitätsgrad seiner Symphonie espagnole erreicht.
Zwei Aufführungen empfehle ich Ihnen heute gerne, zunächst Josef Špaček mit dem Symfonieorkest Vlaanderen unter der Leitung von Adrien Perruchon, aufgezeichnet am 1. März 2017 im Concertgebouw Brugge:
Und zum Vergleich noch ein Mitschnitt vom diesjährigen Eröffnungskonzert des Rheingau-Musikfestivals; Guido Sant'anna musizierte mit dem hr-Sinfonieorchester unter der Leitung von Alain Altinoglu am 24. Juni 2023 im Kloster Eberbach:
Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler