Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
"er begann als Genie und endete als Talent" - dieses bitterböse Bonmot stammt von Igor Strawinsky und zielt auf Felix Mendelssohn Bartholdy, dessen Schauspielmusik zu William Shakespeares Komödie "Ein Sommernachtstraum" unser heutiges Musikstück ist.
Mit nur 17 Jahren gelingt Felix Mendelssohn Bartholdy 1826 mit seiner "Sommernachtstraum"-Ouvertüre ein Geniestreich. In nur wenigen Jahren erobert sie die Welt und gilt seither als perfekte musikalische Entsprechung zu Shakespeares Verwechslungskomödie. Die Berliner Romantiker vergötterten den großen Engländer, den sie - im Gegensatz zu den Londonern - möglichst werktreu aufführten. Eduard Devrient, Mendelssohns Schauspielerfreund und Evangelist in seiner Aufführung von Bachs Matthäuspassion, stand als umjubelter Falstaff auf der Berliner Schauspielbühne und pflegte seine Rolle anschließend in Berliner Lokalen noch ein wenig weiterzuspielen. Shakespeare war in den Übersetzungen der deutschen Romantiker buchstäblich in aller Munde, zumal in jenen erlauchten Kreisen, die sich im Sommerhaus der Mendelssohns auf der Leipziger Straße 3 (heutiger Sitz des Bundesrates) zu den berühmten „Sonntagsmusiken“ trafen.
Dort wurde 1826 auch die Ouvertüre zum „Sommernachtstraum“ aus der Taufe gehoben und sogleich als Meisterwerk des jungen Genies Mendelssohn gefeiert. „Mit dieser Ouvertüre schuf der siebzehnjährige Jüngling ein durchaus eigenartiges Werk, welches kein anderer als eben er hätte schaffen können“, schrieb Carl Reinecke über das Stück. „Welche Kraft und welch klassisch-derber Humor neben dem duftigen Elfenzauber! Und wie schließen die vier Dreiklänge am Anfang und Ende das Ganze so einheitlich zusammen, dass es einem Kettenringe gleicht, in dem nicht ein einziges Glied fehlen dürfte. Und wie gering sind die Mittel, die der junge Meister anwandte! Außer der Ophikleide (heute Tuba), mit welcher „Zettel, der Weber‘ so drastisch gezeichnet ist, nur das kleine Mozartsche Orchester!“
Franz Liszt lobte den "Regenbogenduft" und den "Perlmuttschimmer" der Musik. Die Textgrundlage von William Shakespeare und die Musik von Mendelssohn gehen eine besondere Symbiose ein. Doch was bezauberte den jungen Komponisten an dieser Geschichte, die immerhin über 200 Jahre vor seiner Geburt entstanden ist? Erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es überhaupt eine veritable Shakespeare-Übersetzung, und zwar die von August Wilhelm Schlegel. Nicht nur Felix, auch seine Geschwister begeisterten sich für den "Sommernachtstraum", da hier wie in kaum einer anderen Dichtung das Ideal der Romantik zum Ausdruck kommt - mit seiner zauberhaften Welt zwischen Nacht und Wald. Der märchenhafte Stoff übte auf die Kinder der Familie Mendelssohn eine ganz eigene Faszination aus. Im Gartenhaus der Familie verbanden sich Natur und Poesie in Form von Spielen, Verkleidungen und kleinen Aufführungen, mit der die jungen Leute ihrer Phantasie freien Lauf lassen konnten. Die Unbeschwertheit jener Zeit ist der Musik anzuhören.
Der Auftrag für die Schauspielmusik kam vom König Wilhelm IV. von Preußen. Er hatte bei Mendelssohn eine ganze Serie von Schauspielmusiken geordert, die im Schlosstheater des Neuen Palais in Potsdam aufgeführt werden sollten. Neben dem festlich-pompösen Hochzeitsmarsch zählen auch die beiden Nachtstücke, nämlich das treibende Intermezzo und das ruhige Notturno mit seinem von Hörnern und Fagott gespielten Waldesklang (zu dieser Musik fallen die Elfenkönigin und ihr Geliebter, der in einen Esel verwandelte Tischler Zettel in den Schlaf), zu den bekanntesten Sätzen des "Sommernachtstraums".
17 Jahre nach seinem Geniestreich mit der Ouvertüre knüpft Mendelssohn 1843, vier Jahre vor seinem Tod, mit dem Auftrag für die Bühnenmusik zu Shakespeares Theaterstück scheinbar nahtlos an den damaligen Erfolg an und fängt die unvergleichbare Atmosphäre der Ouvertüre in den zusätzlich komponierten Liedern, Zwischenspielen und verschiedenen anderen kleinen Nummern auf. Das Ganze kam im Oktober 1843 im Neuen Palais zu Potsdam vor dem König und dem Hof zur Uraufführung. Und auch die wird ein großer Erfolg: Der weltberühmte Hochzeitsmarsch ist eines der absoluten Highlights der klassischen Musik - auch ohne den Elfenkönig Oberon, die Feenkönigin Titania, Puck und all die anderen geheimnisvollen Märchenwesen.
Am Ende des nächtlichen Reigens heiraten Hippolyta und Theseus, Hermia und Lysander, Helena und Demetrius. Anschauungsmaterial für Paare liefern zusätzlich Thisbe und Pyramus, Titania und Oberon. Mit mehr Leichtigkeit und doch auch Tiefgang als bei Mendelssohn können Töne und Klänge "Beziehungskisten" nicht spiegeln.
Auszüge aus Mendelssohns Schauspielmusik zu Shakespeares "Sommernachtstraum" standen im Eröffnungskonzert des Rheingau-Musikfestivals im Kloster Eberbach am 29. Juni 2014 auf dem Programm. Es musizieren Miah Persson, Golda Schultz, der Estnische Philharmonische Kammerchor und das
hr-Sinfonieorchester unter der Leitung von Paavo Järvi:
Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler