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15.12.2023 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 564

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

in dieser Ausgabe erwartet Sie ein kurzes Chorstück: Arvo Pärts Magnificat.

Arvo Pärt wurde am 11. September 1935 in der estnischen Stadt Paide geboren. Er studierte in Tallinn und zwar zunächst bei Harri Otsa und Veljo Tormis, dann am Konservatorium bei Heino Eller. 1963 legte er sein Examen ab. Hatte er sich in seinen frühesten Werken eines anspruchslos neoklassizistischen Stils befleißigt, so zeigte sich später, dass er heimlich die Methoden des Serialismus studiert hatte. Zunächst war das an dem 1960 entstandenen Nekrolog zu erkennen, mit dem Pärt eine Reihe von Werken begann, die ihn - wie etwa Perpetuum mobile oder die erste polyphonische Sinfonie - bei dem zurückhaltend-konservativen Establishment der damaligen Zeit in einen gewissen Verruf brachten. Das zunehmende Interesse an der Musik von Johann Sebastian Bach führte dazu, dass Pärt das berühmte B-A-C-H-Motiv mit anderen, oft denkbar ungewöhnlichen Materialien kombinierte - beispielsweise in dem Cellokonzert Pro et Contra und der zweiten Sinfonie (beide 1966 entstanden). Den Höhepunkt der damaligen Schaffensphase markierte 1968 das Credo, ein offener Konflikt zwischen Bach und der Moderne, von dessen deutlich christlicher Haltung sich die sowjetische Kulturbürokratie ganz unmittelbar herausgefordert fühlte.

Pärt setzte diese gedankliche Linie nicht fort, sondern er verstummte fast völlig. Seine dritte Sinfonie (1971) spricht von einem intensiven Interesse an Alter Musik im allgemeinen und am Gregorianischen Choral im besonderen; doch erst 1976 entstand ein neuer, regelmäßiger Fluss an Kompositionen, wobei Pärt jetzt eine tonale Technik benutzte, die er als Tintinnabulismus bezeichnet. Dabei wird eine melodische, schrittweise um einen Zentralton kreisende Stimme von glockenartig nachhallenden Dreiklängen unterstrichen. Viele der folgenden Werke gelten heute bereits als Klassiker der Moderne, darunter vor allem Tabula Rasa, Fratres und Cantus in memoriam Benjamin Britten sowie als Höhepunkt das bis dahin größte Werk von Pärt, die Johannes-Passion (1982). So wurde der Weg frei für jene Reihe vornehmlich geistlicher Chorwerke, denen Arvo Pärt endgültig seinen Ruhm und seinen Ruf als einer der markantesten Komponisten der Gegenwart verdankt.

Im Auftrag des Deutschen Musikrates entstand das Magnificat, das vom Berliner Staats- und Domchor 1989 uraufgeführt wurde. Es dürfte sich dabei um das unmittelbar fasslichste Chorwerk des Komponisten handeln. Im Wechsel der Solo- und Tutti-Abschnitte entsteht eine mächtige spirituelle Aura, und wieder einmal wird man feststellen, dass Arvo Pärt keinen Versuch unternimmt, den gewählten Text in jenem klassischen Sinne zu vertonen, den man seit wenigstens drei Jahrhunderten kennt.

Das Magnificat wurde am 6. Mai 2016 im Brixener Dom aufgeführt, es singt das Vocalensemble AllaBreve unter der Leitung von Davide Lorenzato:

www.youtube.com/watch

Zum Vergleich: Die Nordic Voices aufgezeichnet am 21. Juni 2015 im Kloster Maulbronn:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Berlin

Matthias Wengler

Beitrag von sd