Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
für die letzte Ausgabe von "Ballett im Advent" habe ich das wohl berühmteste Liebespaar der Literaturgeschichte ausgewählt: Romeo und Julia - hier als Ballett von Sergej Prokofjew.
"Romeo und Julia" ist das erste Bühnenwerk, das Sergej Prokofjew nach seiner Rückkehr in Russland schrieb. Im Zuge der Oktoberrevolution, 1917, bei der Lenin das Land gewaltsam an sich riss, war er wie viele andere Kreative emigriert. Da in den USA keiner auf sein Talent ansprang, ließ sich Prokofjew kurz darauf in Paris nieder. Die Pariser waren ein dankbares Publikum, da sie sich dank Strawinsky und seiner Kollaboration mit den Ballets Russes für alles begeisterten, was russisch war.
Auch im restlichen Europa wurde Prokofjew mit der Zeit immer beliebter, sowohl als Pianist als auch als Dirigent. Er reiste von Stadt zu Stadt und kehrte dabei ein paar Mal in die Sowjetunion zurück. Die kurzen Aufenthalte in der alten Heimat taten ihm allerdings alles andere als gut. Immer stärker machte sich Heimweh in ihm bemerkbar. Anfangs versuchte es Prokofjew noch zu ignorieren, doch nach immer häufigeren Sehnsuchtsattacken und einer nicht enden wollenden Pendelei zwischen Paris und Moskau, zog es ihn Anfang der 1930er Jahre ganz nach Russland zurück.
Zuhause avancierte Prokofjew zum Star. Jeder wollte mit ihm zusammenarbeiten. Die Premiere seines neuen Balletts "Romeo und Julia" sollte am Bolschoi-Theater in Moskau stattfinden. Doch was vielversprechend begann, lief bald ins Leere. Genau wie sein Landsmann Dmitri Schostakowitsch wurde Prokofjew Opfer der politischen Hetzjagd gegenüber Freigeistern. In der "Prawda", der damaligen russischen Tageszeitung, klagte man ihn als politischen Verräter an. Parallel dazu oder infolgedessen beklagten sich zunehmend Tänzer und Musiker. Sein Ballett sei viel zu ungewöhnlich und alles andere als tanzbar. Man sprach von "seltsamer Orchestrierung", "häufigen Rhythmuswechseln" und "unzähligen Unannehmlichkeiten". Schlussendlich wurde die Arbeit am Stück auf Eis gelegt und die geplante Uraufführung auf unbestimmte Zeit aufgeschoben.
Natürlich ging der außen- und innenpolitische Protest an Prokofjew nicht spurlos vorüber. Trotzdem ließ er sich nicht entmutigen, sondern arbeitete bewusst weiter. In dieser Zeit entstand u.a. sein wohl bekanntestes Werk "Peter und der Wolf", das wider Erwarten in Russland ein voller Erfolg wurde. Mit einem Mal war Prokofjew nicht länger musikalischer Feind sondern vollwertiger Sowjetkünstler. Er nutzte seinen neu gewonnenen Status, um "Romeo und Julia" wieder ins Gespräch zu bringen, allerdings mit größter Vorsicht. Zunächst koppelte er zwei Orchestersuiten aus seiner Bühnenmusik heraus, dann eine Reihe von zehn Stücken für Klavier solo, die er als op. 75 veröffentlichte. Das Publikum nahm sie so gut an, dass "Romeo und Julia" zwei Jahre später als geplant, 1938, doch noch auf die Bühne kam, zwar nicht in der Sowjetunion, dafür aber im tschechischen Brünn.
1962, vor 60 Jahren also, kreierte John Cranko seine Choreographie zu Sergej Prokofjews Ballett „Romeo und Julia“ - eine legendäre Produktion, mit der er zusammen mit dem Stuttgarter Ballett die Herzen des internationalen Publikums im Sturm eroberte. Noch heute gilt Crankos Inszenierung mit der detailreichen und farbenfrohen Ausstattung Jürgen Roses als eine der meistgespielten der Welt. Sie war der Auslöser des "Stuttgarter Ballettwunders", mit umjubelten Vorstellungen in Europa, den USA, dem Nahen Osten und der ehemaligen Sowjetunion. Weltweit wird seine Inszenierung von "Romeo und Julia" bis heute gefeiert; zuhause in Stuttgart bildet es einen Eckpfeiler des Repertoires.
Cranko gelingt es, mit seinen ergreifenden Pas de deux, hitzigen Fechtkämpfen, prächtigen Bällen und temperamentvollen Karnevalsszenen das Treiben im Verona der Renaissance zum Leben zu erwecken. Seinen träumerischen Romeo, seine ungestüme Julia, seinen draufgängerischen, herumalbernden Mercutio und seinen eiskalt glühenden Bösewicht Tybalt zeichnet er so klar und so lebendig, dass man in den Sog der nicht aufzuhaltenden Ereignisse hineingezogen wird. Von den schwindelerregenden Höhen der neu gefundenen Liebe stürzt man mit den Protagonist:innen in die Tiefen der sinnlosen Gewalt und des erschütternden Todes. Hinzu kommt Sergej Prokofjews überwältigende, bis ins Mark dringende Musik sowie Jürgen Roses Ausstattung, die einen in die lichtdurchfluteten Straßen von Verona versetzt und deren satte Farbpalette einem Gemälde entsprungen zu sein scheint.
Hier also nun Crankos Signaturwerk: Zu erleben sind Elisa Badenes (Julia), David Moore (Romeo) sowie das Stuttgart Ballett. Ballett-Legende Marcia Haydee, Crankos Muse, Prima Ballerina und erste Julia überhaupt, begeistert ebenfalls in dieser herausragenden Inszenierung. Es spielt das Staatsorchester Stuttgart unter der Leitung von James Tuggle:
Ihnen allen ein schönes viertes Adventswochenende mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler
Handlung
1. Akt
1. Szene
Morgendämmerung in Verona. Romeo, der Sohn des Grafen Montague, erklärt der schonen Rosalinde seine Liebe. Als die Stadt erwacht, füllt sich der Marktplatz mit Leuten und ein Kampf entbrennt zwischen den rivalisierenden Familien Capulet und Montague. Der Herzog von Verona warnt die Familien: Wenn weiter Unfrieden zwischen ihnen herrsche, werde er sie bestrafen müssen, schlimmstenfalls mit dem Tode. Romeo und seine Freunde schließen widerwillig Frieden mit Tybalt, einem der Familie Capulet.
2. Szene
Julia erhält von ihrer Mutter, der Gräfin Capulet, ihr erstes Ballkleid. Morgen wird sie ihren Verlobten, Graf Paris, zum ersten Mal treffen. Nun muss sie von ihrer Kindheit Abschied nehmen.
3. Szene
Die Capulets geben ein großes Ballfest. Die Gäste erscheinen, unter ihnen Rosalinde. Romeo und seine Freunde Mercutio und Benvolio folgen ihr – verkleidet und maskiert – zu der Gesellschaft.
4. Szene
Auf dem Ball trifft Julia Graf Paris und tanzt mit ihm. Sie sieht Romeo und sie verlieben sich auf den ersten Blick, obwohl sie nur einige Augenblicke zusammen sind. Tybalt, ein Neffe der Gräfin Capulet, argwöhnt Romeos Identität und versucht, eine Auseinandersetzung herbeizuführen, wird aber von Julias Vater daran gehindert.
5. Szene
Julia träumt auf ihrem Balkon von Romeo; da stiehlt sich der Geliebte in den Garten. Sie erklären sich ihre Liebe und versprechen einander ewige Treue.
2. Akt
1. Szene
Auf dem Marktplatz wird ein großer Karneval gefeiert. Der tagträumende Romeo hat wenig Interesse an dem Fest. Julias Amme bringt ihm einen Brief, in dem Julia ihn bittet, zu Pater Lorenzos Kapelle zu kommen.
2. Szene
Romeo und Julia werden von Pater Lorenzo heimlich getraut.
3. Szene
Der Karneval ist noch in vollem Gange, als Romeo von der Hochzeit zurückkehrt. Tybalt fordert ihn heraus, doch Romeo hält sich zurück. Stattdessen beginnt Mercutio ein Duell mit Tybalt und wird von ihm dabei getötet. Verzweifelt tötet daraufhin Romeo Tybalt.
3. Akt
1. Szene
Romeo und Julia haben die Nacht gemeinsam verbracht. Nun, bei Sonnenaufgang, muss Romeo, der vom Herzog verbannt wurde, Verona verlassen. Graf und Gräfin Capulet betreten mit Graf Paris Julias Schlafzimmer. Sie lehnt ihn als zukünftigen Gatten ab.
2. Szene
In ihrer Not eilt Julia zu Pater Lorenzo. Er gibt ihr einen Schlaftrunk, der sie in den Scheintod versetzen wird. Der Plan ist, dass sie in die Familiengruft gebracht wird und dort Romeo zu ihr kommen und mit ihr fliehen kann.
3. Szene
Julia gibt vor, in die Heirat mit Graf Paris einzuwilligen; dann nimmt sie den Schlaftrunk. Man findet sie, scheinbar tot, an dem Tag, der ihr Hochzeitstag hätte werden sollen.
4. Szene
Romeo hat von Pater Lorenzo nichts gehört. Als er von dem angeblichen Tod Julias erfährt, glaubt er die schreckliche Nachricht. Er eilt zur Gruft der Capulets, findet dort den trauernden Grafen Paris und tötet ihn. Dann stößt Romeo sich selbst den Dolch ins Herz und stirbt neben der aufgebahrten Geliebten. Julia erwacht und findet Romeo tot neben sich. Unfähig, das Leben ohne ihn zu ertragen, tötet sie sich, ihren Gatten umarmend.