Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
letzte Woche haben Sie Wagners "Ring des Nibelungen" schon in Kurzfassung als "Ring ohne Worte" kennengelernt. Heute stelle ich Ihnen gerne den ersten Teil dieses Gesamtkunstwerks vor: Das Rheingold. Diese Oper bildet das Fundament von Wagners epochaler "Ring"-Tetralogie, die über einen Zeitraum von rund einem Vierteljahrhundert entstand.
Wesentliche Themen werden während dieses pausen- und atemlosen "Vorabends" exponiert, im Blick auf die Handlung wie auf die Musik. Aus einem tiefen Es der Kontrabässe heraus entfaltet Wagner seine eigene mythologische Welt, deren Aufstieg und Untergang mit großer Eindringlichkeit vor Augen und vor Ohren geführt werden. Es ist eine Welt der Götter, Riesen, Zwerge und Naturwesen, streng hierarchisch auf verschiedenen Ebenen beheimatet, mit mancherlei Konfliktpotential. Und obwohl "Das Rheingold" durchaus Züge einer Fantasy-Story trägt, entwickelt sich aus dem Geschehen viel mehr: ein wahres Weltendrama von gewaltigen Ausmaßen und universeller Bedeutung, das auch unserer Gegenwart jede Menge zu sagen hat. Wagners große Familiensaga wird zum umfassenden Epos über Macht und Liebe, Krieg und Frieden und die segens- wie verhängnisvolle Wirkung von Leidenschaften.
Die vollständige Ring-Dichtung fertigte Wagner bis 1852 im Züricher Exil an. Die Komposition zu „Das Rheingold“ war bereits zwei Jahre später fertig gestellt, doch erst 22 Jahre später galt die Komposition des gesamten „Ring des Nibelungen“ als abgeschlossen. „Mit meiner Konzeption trete ich gänzlich aus allem Bezug zu unserem heutigen Theater und Publikum heraus, breche für immer mit der formellen Gegenwart.“ Wagner hat gehalten, was er versprochen hat. In seiner Textdichtung bediente er sich einer Form des Stabreims, mithin der althochdeutschen Alliteration. Das Orchester des "Rheingold" verlangt vierfache hohe Holzbläser, drei Fagotte, acht Hörner, vier Tuben nebst Kontrabasstuba, vier Trompeten und Posaunen, sechs Harfen im Graben sowie eine weitere auf der Bühne, eine Schlagzeuggruppe mit einer Reihe von Ambossen, die in der Nibelungenszene geschlagen werden, sowie eine große Streichergruppe.
Die Partitur wurde 1864 mit einer schmeichlerischen Widmung ("dem königlichen Freunde König Ludwig II. von Bayern") veröffentlicht, das Werk am 22. September 1869 am Münchner Hof- und Nationaltheater uraufgeführt. Wagner intrigierte bei dieser Gelegenheit von seiner Villa im schweizerischen Triebschen aus gegen seine Gegner in der Münchner Theaterverwaltung. Er hoffte, dass er selbst gerufen würde, um die Aufführung zu retten, von deren Leitung sein Schützling, der junge Hans Richter, auf seine Veranlassung hin zurückgetreten war, nachdem die komplizierte Bühnenmaschinerie die vorhersehbaren Probleme verursacht hatte. Am Ende verlor König Ludwig die Geduld und ließ das Werk von dem Dirigenten Franz Wüllner erfolgreich aus der Taufe heben. Die Uraufführung fand somit gegen den Willen Wagners statt, da dieser "Das Rheingold“ lieber zur Eröffnung der ersten Bayreuther Festspiele im Rahmen des gesamten „Rings“ uraufführen wollte. Die Festspiele wurden schließlich am 13. August 1876 mit dem „Rheingold“ unter Leitung von Hans Richter erstmals eröffnet.
Den Inhalt der Oper finden Sie zusammengefasst am Ende dieser Ausgabe. Nach rund zweieinhalb Stunden ohne Pause stellen sich dem Zuschauer drängende Fragen: Wie geht es weiter? Wer wird das Spiel um Macht, Liebe und Habgier gewinnen? Da hilft es nur, die nächsten 14 Stunden von Wagners „Ring“ zu verfolgen, um zu erfahren, wie das desaströse Drama um Götter, Zwerge, Nixen und Riesen endet.
Drei Aufführungen empfehle ich Ihnen sehr gerne - zunächst eine ganz klassische Inszenierung von Otto Schenk an der New Yorker Metropolitan Opera aus dem Jahr 1990, die musikalische Leitung hatte James Levine. Die Besetzung: James Morris (Wotan), Alan Held (Donner), Mark Baker (Froh), Siegfried Jerusalem (Loge), Ekkehard Wlaschiha (Alberich), Heinz Zednik (Mime), Jan-Hendrik Rootering (Fasolt), Matti Salminen (Fafner), Christa Ludwig (Fricka), Mari Anne Häggander (Freia), Brigitta Svendén (Erda), Kaaren Erickson (Woglinde), Diane Kesling (Wellgunde) und Meredith Parsons (Flosshilde):
Viele "Ring"-Produktionen mit unterschiedlichsten interpretatorischen Ansätzen sind in den vergangenen Jahrzehnten über die Bühnen der Welt gegangen, kaum eine dieser mal mehr, mal weniger geglückten Neudeutungen ist aber derart in die Aufführungsgeschichte eingegangen wie die „Ring“-Produktion 1976 bei den Bayreuther Festspielen. Damals hat man das 100-jährige Bestehen des Festivals gefeiert, gleichzeitig auch den 100. Jahrestag der ersten kompletten zyklischen „Ring“-Aufführung - und hatte für dieses besondere Ereignis erstmals die Inszenierung außerhalb der Wagner-Familie vergeben. Nach jeweils zwei „Ring“-Produktionen in der Regie der Wagner-Enkel Wieland und Wolfgang in den Bayreuther Nachkriegsjahren, hatte man für die Jubiläums-Produktion den 31-jährigen Film- und Schauspielregisseur Patrice Chéreau engagiert. Seine radikale Deutung des „Rings“ (angesiedelt in der Zeit der Frühindustrialisierung) als Parabel auf die Umbrüche des 19. Jahrhunderts, als „eine Beschreibung der Perversion der Gesellschaft, die sich in der Erhaltung der Macht begründet“ (Zitat Patrice Chéreau), ist zuerst vehement abgelehnt worden, um dann (bis 1980) dank der starken Bildsprache, der Stringenz der Produktion und der Intensität der Aufführungen immer mehr gefeiert zu werden. Als „Jahrhundert-Ring“ ist diese Produktion in die Musikgeschichte eingegangen.
Die Besetzung des "Rheingolds": Donald McIntyre (Wotan), Martin Egel (Donner), Siegfried Jerusalem (Froh), Heinz Zednik (Loge), Hermann Becht (Alberich), Helmut Pampuch (Mime), Matti Salminen (Fasolt), Fritz Hübner (Fafner), Hanna Schwarz (Fricka), Carmen Reppel (Freia), Ortrun Wenkel (Erda), Norma Sharp (Woglinde), Ilse Gramatzki (Wellgunde) und Marga Schiml (Flosshilde) sowie das Orchester der Bayreuther Festspiele unter der Leitung von Pierre Boulez:
Und zum Schluss noch eine konzertante Aufführung des "Rheingolds", aufgezeichnet 2004 im Festspielhaus Baden-Baden, mit Sir Willard White (Wotan), Oleg Bryjak (Alberich), Kim Begley (Loge), Yvonne Naef (Fricka), Robbin Leggate (Mime), Geraldine McGreevy (Freia), Anna Larsson (Erda), James Rutherford (Donner), Timothy Robinson (Froh), Peter Rose (Fasolt), Robert Lloyd (Fafner), Kate Royal (Woglinde), Karen England (Wellgunde) und Christine Rice (Flosshilde) sowie dem Orchestra of the Age of Enlightenment unter der Leitung von Sir Simon Rattle:
Letzte Empfehlung für heute: Eine Einführung in "Das Rheingold" mit Cornelius Meister, Generalmusikdirektor an der Staatsoper Stuttgart. Im Video teilt er seine Expertise: 45 Minuten Insider-Wissen, verfeinert durch Musikbeispiele am Klavier. Was passiert in Wagners Vorabend des Bühnenfestspiels "Der Ring des Nibelungen"? Welche Rollen gibt es und wie klingen sie? Und was hat es mit Wagners vielzitierten Leitmotiven auf sich? Das alles und noch viel mehr können Sie hier erfahren:
Ihnen allen ein schönes Wochenende mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler