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21.06.2024 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 643

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

am  21. Juni 1868 wurde unser heutiges Meisterwerk erstmals gespielt, seitdem allzu oft als eine deutsche Nationaloper missverstanden und ist auch heute noch ein kulturelles Streitobjekt: Richard Wagners Oper "Die Meistersinger von Nürnberg".

Gewaltig im Ton, forsch in der Gangart, so dröhnt das Vorspiel zu den „Meistersingern von Nürnberg“ aus dem Orchestergraben. Aber Richard Wagners Oper über den Schuster und Meistersänger Hans Sachs und dessen Zunftgenossen hat ihre Tücken. Das Nürnberg des 16. Jahrhunderts plus Wagners „Kunstwerk der Zukunft“, das ergibt eine zwiespältige Gemengelage aus Volkstümlichkeit und Erotik, Humor und Nationalstolz.

Aus ganz Europa waren sie in München eingetroffen, die Vertreter jener Spezies, die man schon bald "Wagnerianer" nennen wird. Ein Werk des Meisters wird uraufgeführt, ein Lustspiel! Dass es ein Meisterwerk wird, die deutsche Nationaloper schlechthin, steht für die angereisten Wagner-Jünger schon fest, bevor sich der Vorhang hebt. Doch nicht nur das: Das Stück soll auch heiter werden, ja kurzweilig! Das verspricht jedenfalls der Uraufführungsdirigent Hans von Bülow. Wenn auch nicht kurz. Mehr als viereinhalb Stunden dauert es, um genau zu sein.

Der Meister selbst ist natürlich ebenfalls vor Ort, er hat die Proben im Münchner Nationaltheater überwacht. Als wäre die Uraufführung nicht schon Nervenprobe genug, wohnt Wagner in all den Tagen ausgerechnet bei seinem ergebenen Freund Hans von Bülow, dem er die Frau ausgespannt hat. Man muss sich das vorstellen: Bülow kämpft am Pult des widerspenstigen Königlichen Orchesters für Wagners Werk und bewirtet ihn bei sich zu Hause. Währenddessen hat seine Frau Cosima dem Meister schon längst zwei Kinder geboren, die Ehe hält sie nur noch zum Schein aufrecht.

Von München aus, wo die „Meistersinger“ am 21. Juni 1868 unter Begeisterungsstürmen aus der Taufe gehoben wurden, verbreitete sich rasch der trügerische Ruf einer deutschen Nationaloper. Im Mittelpunkt eine Art Sängerkrieg - zwölf verknöcherte Nürnberger Meistersänger unterliegen einem hereingeschneiten Newcomer, der die starren Sangesregeln mit genialer Frechheit durchbricht, am Ende siegt und damit eine hübsche Meister-Tochter erobert. Nur Meister Sachs erkennt die geniale Kreativität des jungen Künstlers der Zukunft, Wagners Selbstporträt übrigens.

Hans Sachs, die Hauptfigur der "Meistersinger von Nürnberg", spricht aus, was Wagner in diesen Jahren umtreibt: Abgründiges über die Verführbarkeit der Masse, Tiefsinniges über die Kunst, aber auch Deutschtümelei - all das findet sich im Textbuch. Wagner hat es wie immer selbst geschrieben. Wobei er sich an die historischen Quellen über den dichtenden Schuster aus Nürnberg nur lose anlehnt. Frei erfunden ist die Figur des Sixtus Beckmesser: Eine bitterböse Karikatur von Wagners Kritikern, mit der er vor allem auf seinen berühmtesten Gegner zielt, Eduard Hanslick. Der schreibt prompt, die Meistersinger seien "unschön und unmusikalisch", die Monologe des Hans Sachs "unaussprechlich langweilig". Andere Kritiker werden noch deutlicher: Man liest Wörter wie "Monstrum", "Katzenmusik", ja: Diese Oper sei eine "kolossale Ratte". Beckmesser ist der Verlierer in den "Meistersingern" zugleich auch eine verzerrte Projektion von Wagners Antisemitismus. Friedrich Nietzsche, der abgefallene Wagner-Freund, hat wohl als Erster die Verluste in dieser Oper dingfest gemacht: „Alles in allem keine Schönheit, kein Süden, nichts von südlicher Helligkeit des Himmels, nichts von Grazie, kein Tanz, kaum ein Wille zur Logik; eine gewisse Plumpheit sogar, etwas Willkürlich-Barbarisches und Feierliches… Etwas Deutsches im besten und schlimmsten Sinne des Wortes.“

Also Deutschtümelei, Chauvinismus - der Stolz des Wagnerianers von einst? Sture Patrioten, die Nationalsozialisten und der Bayreuther Stammgast Adolf Hitler feierten in den „Meistersingern“ die deutsche Hybris und Arroganz. Zentrale Fundstelle dafür ist das Jubelfinale der Oper, eine Art Oktobervolksfest der Nürnberger Zünfte und ihrer Meister. Hans Sachs allein wittert da die Gefahr. In seiner Schlussansprache warnt er - mit humorigen Reimen - das brave Volk vor Krisen und Verlusten, sogar vor der Überfremdung deutscher Kunst. Wörtlich: „Drum sag’ ich euch: / ehrt eure deutschen Meister! / Dann bannt ihr gute Geister. / Und gebt ihr ihrem Wirken Gunst, / zerging in Dunst / das heil’ge röm’sche Reich, / uns bliebe gleich / die heil’ge deutsche Kunst!“

Das Meistersinger-Problem bis heute: Die Vaterlandsliebe des Sachs wird in militantes Deutschtum umgebogen. Opernregisseure denken darüber längst nach. Peter Konwitschny riskierte 2002 bei seiner Hamburger Inszenierung einen Eklat, als er die Aufführung unterbrechen und die Darsteller minutenlang auf offener Bühne die fatale Wirkung dieser Oper diskutieren ließ. Tatsache ist: Wagners „Meistersinger“ sind kein Modell für Nationalismus oder Chauvinismus. Die wahre Größe, die Essenz des Stücks liegt woanders - in der tiefen Melancholie des Schusters und Philosophen Hans Sachs. Mit seinem altersweisen, zuletzt sogar heiteren Pessimismus erkennt Sachs den Wahn und die Illusionen des Lebens, selbst im buntesten und lautesten Treiben der Menschen: auf ihrem Volksfest.

Zu unseren heutigen Mitschnitten:  2017 sorgte Regisseur Barrie Kosky bei den Bayreuther Festspielen für Furore mit seiner brisanten Lesart von Wagners "Meistersingern", die Der Spiegel “erstaunlich unterhaltsam und überzeugend” fand. Opera News attestierte der Inszenierung “interessante Einblicke in das Werk und hohes künstlerisches Niveau”. Die musikalische Seite wurde ebenfalls hochgelobt, wobei dem Dirigenten Philippe Jordan eine exzellente Riege ausgewiesener Wagner-Spezialisten zur Seite stand:

Hans Sachs, Schuster: Michael Volle
Veit Pogner, Goldschmied: Günther Groissböck
Kunz Vogelgesang, Kürschner: Tansel Akzeybek
Konrad Nachtigal, Spengler: Armin Kolarczyk
Sixtus Beckmesser, Stadtschreiber: Johannes Martin Kränzle
Fritz Kothner, Bäcker: Daniel Schmutzhard
Balthasar Zorn, Zinngießer: Paul Kaufmann
Ulrich Eisslinger, Würzkrämer: Christopher Kaplan
Augustin Moser, Schneider: Stefan Heibach
Hermann Ortel, Seifensieder: Raimund Nolte
Hans Schwarz, Strumpfwirker: Andreas Hörl
Hans Foltz, Kupferschmied: Timo Riihonen
Walther von Stolzing: Klaus Florian Vogt
David, Sachsens Lehrbube: Daniel Behle
Eva, Pogners Tochter: Anne Schwanewilms
Magdalene, Evas Amme: Wiebke Lehmkuhl
Ein Nachtwächter: Karl Heinz Lehner

www.youtube.com/watch

Zum Vergleich noch eine Inszenierung aus dem Jahr 1984 von Wolfgang Wagner. Viermal wurden die "Meistersinger von Nürnberg" nach dem Wiederbeginn der Bayreuther Festspiele nach dem Zweiten Weltkrieg von den Enkeln Richard Wagners inszeniert. Wieland Wagner legte zunächst Wert auf die Idealisierung der Meistersingerkust, dann auf das komische Element. Wolfgang Wagner hingegen ging es um eine weitgehende Entidealisierung des Stückes, weshalb er ein möglichst natürliches, den Originalschauplätzen nahes Ambiente für seine Inszenierung wählte.

Für Wolfgang Wagner war es wichtig, das realitätsnahe Element dieser Oper in den Vordergrund zu stellen. Dazu gehörte zum einen eine möglichst authentische Wahl von Kostümen und Bühnenbild bis hin zur Kopie einer fränkischen Festwiese einschließlich Tanzeiche, auf der anderen Seite aber auch eine Rücknahme der Polarisierung der Gestalten auf der Bühne. Vor allem Beckmesser hatte es ihm angetan, den er von dem Ruf der komischen Figur befreien wollte. Wagner besetzte ihn mit Hermann Prey, der per se schon eine Autorität in Fragen des Stils und der Ernsthaftigkeit darstellte, und entschärfte außerdem die Rolle, indem er den öffentlich vorgeführten Lied-Versager zwar wütend von der Bühne gehen, ihn aber später wieder als Zuhörer des Konkurrenten zurückkehren lässt. Er ergreift sogar persönlich die Initiative, indem er als Mini-Rolle auf der Bühne erscheint und am Ende der Oper dafür sorgt, dass Hans Sachs und Beckmesser sich versöhnend die Hand reichen. So sind die "Meistersinger" von 1984 eine rundum ausgleichende und harmonische Inszenierung, die musikalische Leitung hatte Horst Stein:

Hans Sachs: Bernd Weikl
Veit Pogner: Manfred Schenk
Kunz Vogelsang: Andras Molnar
Konrad Nachtigall: Martin Egel
Sixtus Beckmesser: Hermann Prey
Fritz Kothner: Jef Vermeersch
Balthasar Zorn: Udo Holdorf
Ulrich Eisslinger: Peter Maus
Augustin Moser: Helmut Pampuch
Hermann Ortel: Sandor Solyom-Nagy
Hans Schwarz: Heinz Klaus Ecker
Hans Foltz: Dieter Schweikart
Walther von Stolzing: Siegfried Jerusalem
David: Graham Clark
Eva: Mari Anne Häggander
Magdalene: Marga Schiml
Ein Nachtwächter: Matthias Hölle

www.youtube.com/watch (Erster und zweiter Aufzug)

www.youtube.com/watch (Dritter Aufzug)

Ihnen allen ein schönes Wochenende mit herzlichen Urlaubsgrüßen von der Nordsee

Matthias Wengler


Erster Aufzug
Eva, die Tochter des Goldschmieds Veit Pogner, hat sich in den jungen Ritter Walther von Stolzing verliebt. Dieser war ursprünglich nach Nürnberg gekommen, um mit ihrem Vater Geschäfte zu machen, ist nun aber ebenfalls für sie in Liebe entbrannt. Doch eine Heirat scheint momentan aussichtslos: Um in der Stadtgesellschaft akzeptiert zu werden, müsste Stolzing als Meister einer Zunft angehören. Kurzerhand will er sich deshalb den Meistersingern, der traditionsreichsten Gilde, anschließen. Doch macht ihm David, der Lehrbube des Schusters Hans Sachs, klar, wie kompliziert es sei, alle Regeln zur Dichtung eines Meisterliedes zu verstehen und anzuwenden.
Innerhalb der Meistersingerzunft, die längst ihre besten Tage hinter sich hat, schwelt ein Konflikt: Sachs plädiert schon längere Zeit dafür, das Volk entscheiden zu lassen, wer beim alljährlichen Wettsingen den Preis davonträgt. Das würde die Akzeptanz der Zunft fördern. Die Mehrheit der Meister, allen voran Fritz Kothner und der Stadtschreiber Sixtus Beckmesser, befürchtet jedoch, die strengen Regeln wären dann nichts mehr wert, und sträubt sich gegen Sachs' Ansinnen.
Der reiche Pogner schlägt eine andere Möglichkeit vor, die Popularität der Meistersinger wieder zu steigern: Er hat seine einzige Tochter Eva zum Preis des bevorstehenden Wettsingens erklärt. Beckmesser wähnt sich schon als Sieger – meint er doch der einzige Teilnehmer am Wettsingen zu sein. Doch tritt mit Stolzing nun ein weiterer Bewerber auf den Plan. Er möchte sich durch ein Vorsingen als Mitglied der Zunft bewerben, um auf diesem Weg Eva heiraten zu dürfen. Nun liegt es jedoch an Beckmesser, dem Merker der Meistersinger, den Probegesang Stolzings und somit dessen Aufnahme in die Zunft zu prüfen. Noch bevor der Junker sein Lied beenden kann, überzeugt Beckmesser mit offensichtlicher Parteilichkeit die anderen Meister, dass Stolzing den Anforderungen nicht genüge. Im Tumult angesichts des strengen Beharrens Beckmessers auf Regeltreue geht der Gesang Stolzings völlig unter. Lediglich Sachs ergreift Partei für das Lied des Anwärters. Er gibt zu bedenken, dass Stolzing zwar nach neuartigen und ganz eigenen Regeln, jedoch deshalb noch nicht falsch gesungen habe. Stolzing wird dennoch abgewiesen.

Zweiter Aufzug
Sachs sinnt am Abend über den Vortrag Stolzings nach – weiß er doch keine Regeln, nach der er das Lied hätte bemessen sollen. Dabei erkennt er nicht nur das Neue an Stolzings Gesangskunst an, sondern auch die Liebe zwischen ihm und Eva. Selbst empfindet sich Sachs als zu alt, um mit Eva die Ehe zu schließen.
Auch Pogner grübelt über die verfahrene Situation nach. Obwohl er den Ritter nicht ungern als Schwiegersohn sähe, kann er dem Wunsch seiner Tochter nicht nachgeben. Ihn bindet sein eigenes Versprechen gegenüber dem Wettsingen. Von Sachs erhofft er sich eine Lösung aus dem Dilemma. Eva und Stolzing überlegen indessen, wie eine gemeinsame Zukunft überhaupt noch zu ermöglichen wäre. Ihre vermeintlich einzige Perspektive: die Flucht.
Sixtus Beckmesser hegt weiterhin Ambitionen, in die Goldschmiedefamilie einzuheiraten. Er tritt vor Evas Fenster, um ihr sein Lied für das bevorstehende Wettsingen vorzutragen. Doch ist die Frau, die er für die junge Eva hält, deren verkleidete Vertraute Magdalene. Während der Stadtschreiber begleitet von seiner Laute ins Schwärmen gerät, wird sein Gesang vom schusternden Hans Sachs unterbrochen. Als Retourkutsche für Beckmessers Verhalten gegenüber Stolzing beim Probesingen kommentiert nun Sachs Beckmessers Verse, indem er mit dem Hammer auf die Schuhsohlen schlägt. Lautenspiel, Gesang und Hammerschläge rufen die Bürger auf den Plan, die verärgert Streit anfangen. Ein brodelnder Tumult bricht los, in dem Sachs gerade noch verhindern kann, dass Eva und Stolzing durchbrennen,und Beckmesser vom Lehrbuben David, dem Geliebten Magdalenes, verprügelt wird. Erst der Ruf des Nachtwächters bringt wieder Ruhe in die Stadt.

Dritter Aufzug
Am nächsten Morgen sinniert Sachs über den „Wahn“ der Welt. Während der nächtlichen Prügelei hat er Stolzing zu sich gerettet, von dessen Talent er überzeugt ist. Als dieser ihm von seinem Traum berichtet, bestärkt ihn Sachs, daraus ein Meisterlied zu schaffen, das den Regeln der Meistersinger standhalten könne. Nach anfänglichem Zögern beginnt Stolzing zu singen und wie von selbst findet sich die passende Form. Der begeisterte Sachs schreibt sofort mit und kann unmittelbar die Regelhaftigkeit des Liedes ableiten.
Doch Beckmesser, der sich beim Schuster noch über sein Schuhwerk beschweren will, entdeckt das niedergeschriebene Lied und wirft dem Witwer Sachs vor, selbst um Eva werben zu wollen. Dieser bestreitet die Vorwürfe und überlässt Beckmesser das Lied. Freudestrahlend zieht der Merker davon, da er meint, mit einem Lied von Hans Sachs nicht mehr verlieren zu können.
Auch Eva sucht den Schuster auf und bittet ihn um Rat. Obwohl Sachs ihr zugeneigt ist, entsagt er ihr zugunsten der Liebe zwischen Eva und Stolzing. Als auch der Junker hinzutritt und noch eine weitere Strophe seines Meisterliedes vorträgt, spricht Sachs symbolisch einen Taufspruch darauf. In einem Moment der Ruhe besingen Sachs, Eva, Stolzing, der noch schnell zum Gesellen ernannte David und dessen künftige Braut Magdalene ihr Glück.
Unterdessen versammelt sich das Volk zum Wettsingen am Johannistag. Beckmesser stimmt das Lied an, das ihm Sachs schenkte, kann jedoch dessen Handschrift nicht entziffern. Er vertauscht die Worte, entstellt den Sinn, zwingt dem Lied seine eigene Melodie auf und wird so zum Gespött der Festgemeinde. Wütend wirft er das Blatt zu Boden und erklärt, dass Sachs der Dichter des Liedes sei. Der Schuster jedoch weist den Vorwurf von sich und ruft nach Walther von Stolzing, der durch den richtigen Vortrag beweisen soll, dass er das Lied geschaffen hat. Stolzings Gesang kann das ganze Volk und alle Meister überzeugen. Feierlich erklären diese die Aufnahme des Junkers in die Meistergilde, der jedoch ablehnen will. Sachs ermahnt den jungen Dichter, den Sinn der Tradition nicht zu vergessen und die Erfahrung der Meister zu achten. Schließlich bejubeln alle Anwesenden Hans Sachs.

Beitrag von sd