Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
heute wird es tragisch, zumindest im Beinamen unseres heutigen Musikstücks: Franz Schuberts Sinfonie Nr. 4 c-Moll D 417, die "Tragische".
Gerade 19 Jahre alt war Franz Schubert, als er 1816 seine vierte Sinfonie komponierte, die er selbst als "Tragische" bezeichnete. Der deutlichen Melancholie der langsamen Einleitung folgt ein stürmisches Allegro vivace, in dem die Schubert-Forschung - wie überhaupt in der gesamten Sinfonie - die Spuren Beethovens zu entdecken wusste. Tatsächlich sind Parallelen zwischen Schuberts Allegro-Thema und demjenigen aus Beethovens Streichquartett c-Moll op. 18 Nr. 4 nicht von der Hand zu weisen; desgleichen gibt es Beziehungen zur Coriolan-Ouvertüre, die gleichfalls in c-Moll steht. Das Andante wird von einem Thema beherrscht, dessen Gesanglichkeit für Franz Schubert typisch ist. Nach Menuett und Trio schließt sich der Kreis: Das abschließende Allegro-Hauptthema und seine furiose Durchführung sowie die strahlende Coda schlagen den Bogen zurück zum ersten Satz.
Das Verhältnis von Schubert zu Beethoven ist nicht einfach einzuschätzen, im Falle der vierten Sinfonie ist es aber von Bedeutung. Schubert hat Beethoven nachweislich einige Male getroffen, er hatte autografe Notenblätter Beethovens in seinem Besitz und hatte ihn kurz vor dessen Tod am Krankenbett besucht. Aufgrund seiner ausgeprägten Schüchternheit schien es wohl aber nicht zu einem wirklichen Austausch der beiden gekommen zu sein. Bei seinem Lehrer Antonio Salieri hatte Schubert auch die, aus klassischer Sicht, negativen Seiten des Meisters kennengelernt. Er selbst sprach von den „Bizzarrerien“ in Beethovens Musik. Schubert jedenfalls blieb die Aufgabe, auf Beethovens Beerdigung eine Fackel zu tragen.
Schuberts drei erste Sinfonien waren in Dur gehalten, waren originell und leicht im Ton. Dann die Vierte, mit der Schubert „tragisch“ werden wollte und noch keine echte Abgrenzung vom Pathetischen fand. Die Annahme ist naheliegend, dass Schubert hier der Ausdrucksgewalt eines Ludwig van Beethoven nachfolgen wollte, dass der junge Schubert hier Titan sein wollte, ganz entgegen seiner Natur. Alleine schon die Wahl der Tonart c-Moll - es ist die Tonart von Beethovens Fünfter - und der ebenfalls dort zu findende Übergang vom schicksalhaften c-Moll ins siegreiche C-Dur sprechen für ein Sich-Messen mit der letzten Instanz, ein Kämpfen von dessen Kampf. Vielleicht ist genau das die Aufgabe dieser vierten Sinfonie: Das Thema Beethoven abzuhaken, beinahe schematisch und plakativ, um es dann hinter sich lassen zu können.
Unser heutiger Mitschnitt entstand im Dezember 1984 im Wiener Musikvereinssaal, es musizieren die Wiener Philharmoniker unter der Leitung von Nikolaus Harnoncourt:
Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler