Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
eine ungewöhnliche Duo-Komposition erwartet Sie in der heutigen Ausgabe: Maurice Ravels Sonate für Violine und Violoncello.
Maurice Ravel war mit diesem Werk kein allgemeiner Erfolg beschieden. Die Geigerin Héléne Jourdan-Morhange und der Cellist Maurice Maréchal kämpften bei der Uraufführung in der Pariser Salle Pleyel im April 1922 vergeblich mit dem Material eines Stückes, das der Komponist selbst als „Wendepunkt“ bezeichnet hat. Während das Publikum ein Virtuosenduo erwartete, hatte Ravel eine anspruchsvolle Sonate in vier Sätzen geschrieben, „eine extreme Kehrtwende“, wie er selbst zugab, weg vom „harmonischen Charme“ seiner früheren Musik, hin zu einer radikalen Linearität der Stimmführung mit oft dissonanten Wirkungen. Das Werk scheint bei der Uraufführung einen so sperrigen Eindruck hinterlassen zu haben, dass der Cellist Roman-Manuel witzelte, Ravel solle doch davon „eine reduzierte Fassung für Orchester“ schreiben. Weniger elegant fassten es die Kritiker in das böse Wort vom „Massaker“ an den beiden Solisten. Aus seinem zeitlichen Umfeld und den Erwartungen der Pariser herausgelöst, erscheint das Duo heute als eines der poetischsten Werke in der Kammermusik Ravels.
Der eigenartige Ton des Werkes - es ist besonders im langsamen Satz von tiefer Stille der Linienführung geprägt, die plötzlich in heftiger Erregung aufbricht - erklärt sich aus seiner Funktion als Tombeau, als Trauerstück: Ravel hat die Sonate dem Andenken Claude Debussys gewidmet. Den ersten Satz hatte er bereits 1920 für eine Nummer der Revue musicale geschrieben, die in zahlreichen Werken an den 1918 verstorbenen Kollegen erinnerte. Später hat Ravel diese Idee der Hommage an Debussy auf die ganze Sonate erweitert.
Der Allegro-Kopfsatz verarbeitet drei relativ einfache Motive, die dennoch durch dauernden Wechsel zwischen Dur- und Mollterz fremdartig wirken, noch dazu im strengsten Kontrapunkt bis hin zum Kanon. Das sehr schnelle Scherzo benutzt hauptsächlich Pizzicati in einer aggressiven, an Bartók erinnernden Manier, unterbrochen von weichen coll’arco-Passagen. Gegen Ende werden das Sul ponticello der Geige und ein Pizzicato-Glissando des Cellos zur Pointe kombiniert. Der dritte Satz, Lent, besticht durch seine innere Ruhe, die vom einleitenden Cellosolo ausgeht. Hier erreicht die Klage ihre Mitte, während sie im Finale einem Kaleidoskop von Tanzrhythmen weicht.
Unser heutiger Mitschnitt entstand am 15. Januar 2021 im Rolf-Liebermann-Studio des NDR, es musizieren Konzertmeister Roland Greutter und Solo-Cellist Andreas Grünkorn vom NDR Elbphilharmonie Orchester:
Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Urlaubsgrüßen von der Nordsee
Matthias Wengler