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11.08.2025 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 812

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

heute steht wieder einmal das Horn im Mittelpunkt, diesmal mit Musik aus Russland: Reinhold Glières Konzert für Horn und Orchester B-Dur op. 91.

Würde man dieses Hornkonzert einzig unter dem Aspekt der Modernität beurteilen, dann könnte dieses Werk kaum bestehen. Es ist eine Komposition aus dem Jahr 1950, als von fortschrittlichen Komponisten längst ganz andere Wege eingeschlagen wurden. Doch das Konzert besitzt andere Qualitäten, ist es doch mustergültig einem hervorragenden Solisten auf den Leib geschrieben. Bis heute ist es ein Bravourstück, das höchste Anforderungen an die Hornisten stellt, exzellente Virtuosität ebenso fordert wie die Fähigkeit zum Vortrag weit gesponnener wohllautender Melodiebögen. Werden die Klippen aber genommen, und fällt der Vortrag geschmackvoll aus, dann ist den Interpreten die Gunst des Publikums sicher. Glières Hornkonzert ist von einem Komponisten geschrieben, der sein Handwerk sicher beherrschte. 

Reinhold Glière wurde am 11. Januar 1875 in Kiew geboren. Unterricht erhielt er zunächst an der Musikschule in Kiew, bevor er 19-jährig an das Moskauer Konservatorium wechselte, wo Sergej Tanejew ihn in der Kunst des Kontrapunkts unterwies. Glière war ebenfalls als Lehrer tätig, unterrichtete zunächst in Moskau, wechselte später an das Konservatorium in Kiew und unterrichtete zuletzt am Moskauer Konservatorium. Einer seiner ersten Schüler war Sergej Prokofjew, später unterrichtete er Aram Chatschaturjan und Alexander Mossolow. In seinen Kompositionen orientierte sich Reinhold Glière zunächst an der nationalrussischen Bewegung, und naturgemäß spielten folkloristische Elemente in seinem Schaffen eine wichtige Rolle. An Reisen nach Westeuropa war er wenig interessiert, dafür leistete er musikalische Aufbauarbeit in Usbekistan und Aserbaidschan, wo er die Folklore erforschte. 

Glière war einer der angesehensten Komponisten der jungen Sowjetunion. Dreimal wurde er mit dem Stalinpreis erster Klasse ausgezeichnet. Beinahe 81-jährig ist er am 23. Juni 1956 gestorben. Glière komponierte mehrere Solokonzerte. Dem Harfenkonzert des Jahres 1938 schloss sich fünf Jahre später das originelle Konzert für Koloratursopran und Orchester an, es folgten Konzerte für Violoncello, Horn und Violine. Das Konzert für Horn und Orchester wurde 1950 für Valery Polekh (1918-2007) geschrieben. Polekh hatte seine Ausbildung am Moskauer Konservatorium erhalten und wirkte 35 Jahre als erster Hornist im Orchester des Moskauer Bolschoi-Theaters. 

Der Hornist wurde gerühmt für seinen gesangvollen Vortrag, und diese Fähigkeit ist in das Konzert eingeflossen. Polekh machte dem Komponisten einige Änderungsvorschläge, schrieb eine Solokadenz für den ersten Satz und besorgte die erste Notenedition. Die Uraufführung fand am 10. Mai 1951 statt, der Komponist leitete das Radio-Sinfonieorchester Leningrad, und der Widmungsträger gestaltete den Solopart. Ein Jahr später wurde mit dem Orchester des Bolschoi-Theaters die erste Schallplattenaufnahme eingespielt, und das Werk trat seinen Siegeszug um die Welt an - geschätzt bei allen vorzüglichen Hornisten und vom Publikum bewundert bei allerdings nicht übermäßig zahlreichen Aufführungen. 

Glières Hornkonzert weist mit beinahe halbstündiger Aufführungsdauer beachtliche Dimensionen auf. Höchste Anforderungen werden an den Solisten gestellt. Ein enormer Tonumfang wird durchmessen, und die Themen sind so kontrastierend angelegt, dass ein beträchtlicher Ausdrucksradius berührt wird. Die Gliederung ist sehr geschickt, denn im ausgedehnten Kopfsatz beginnt das Soloinstrument bereits im 16. Takt mit der Gestaltung des schwungvoll-marschähnlichen Hauptthemas. Ein kurzer Überleitungsgedanke führt zum zweiten Thema, das bei zurückgenommenem Tempo mit eindrucksvollen Kantilenen aufhorchen lässt. Kantabilität überschreitet hier bisweilen die Grenzen der Schwelgerei. Die Themen und die Instrumentenbehandlung lassen im Hornkonzert von Reinhold Glière an die Musik von Peter Tschaikowsky und Sergej Rachmaninow denken. Die große Solokadenz findet ihren Platz vor der Reprise, die Coda lässt den Satz festlich ausklingen. 

Weite Melodiebögen - die Anforderungen an die Atemtechnik des Solisten sind enorm - beherrschen den Andante-Mittelsatz, der sich mit unverkennbaren Rachmaninow-Anlehnungen hymnische Steigerungen vorbehält. Der Mittelteil ist dann etwas nervöser angelegt, das Verklingen des Satzes stellt eine weitere Besonderheit dar. Dem Finale ist eine langsame Einleitung vorangestellt. Die große Eröffnungsgeste wird durch einen choralartigen Gedanken beantwortet, dann erst stellt das Fagott den humoristischen Hauptgedanken vor. Die Spielfreude des Finalsatzes bleibt ungetrübt, wenngleich nicht zuletzt durch die Wiederkehr der Einleitungsgedanken einige kantable Gedanken eingefügt sind. Auf diese Weise will sich die Frage nach der Modernität der Komposition erst gar nicht stellen, denn auf alle Fälle hat Reinhold Glière die Hornkonzertliteratur um einen effektvollen und besonders instrumentengerechten Beitrag bereichert.  

Unser heutiger Konzertmitschnitt kommt aus dem Prager Rudolfinum. Am 9. Mai 2016 musizierte Radek Baborak mit dem Prager Rundfunk-Sinfonieorchester unter der Leitung von Ondrej Lenárd:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von sd