Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
heute erwartet Sie ein Werk, das im Leben des Komponisten eine Schlüsselrolle spielte: Die Sinfonie Nr. 3 d-Moll von Anton Bruckner - gewidmet ist das Werk Richard Wagner.
Anton Bruckner polarisiert: Zeitlebens galt der Komponist als göttlich begnadet oder als schrulliger Gigantomane. Anfeindungen und Misserfolge begleiteten sein Leben, daneben gab es aber auch strahlende Triumphe. Kein Werk wurde davon schmerzhafter berührt als die dritte Sinfonie. Begonnen 1872 und vollendet 1873, erlebte das Werk erst 1890 seine erfolgreiche Uraufführung. Zuvor hatte Bruckner wegen der dreimaligen Ablehnung durch die Wiener Philharmoniker die Sinfonie mehrmals überarbeitet.
In der Tat liegt diese Sinfonie in drei unterschiedlichen Fassungen vor - wie kam es dazu? Hauptgrund war sicher Bruckners großer Wunsch nach Akzeptanz und Anerkennung. Er wollte sich in die Reihe der erfolgreichen Komponisten seiner Zeit eingeordnet sehen. Die erste Fassung entstand in den Jahren 1872 und 1873, und schon ein Jahr später begann Bruckner mit Änderungen. Die Sinfonie war bei den Wiener Philharmonikern durchgefallen - sie hatten sich geweigert, dieses Werk zu spielen. Der nächste, noch größere Misserfolg ließ leider nicht lange auf sich warten. Die Uraufführung der zweiten Fassung im Dezember 1877 war ein Fiasko, die Wiener Abendpost schrieb: "Man kommt bei dieser Musik aus dem Kopfschütteln nicht heraus, greift sich wohl auch zeitweilig an den Puls, um sich zu überzeugen, ob das Gehörte nicht etwa Produkt selbsteigenen Fiebers sei." Bis 1890 wurde das Werk nicht mehr aufgeführt. Das muss Bruckner schwer erschüttert haben. Zum Glück brachte die dritte Fassung wieder Halt in sein Leben und verschaffte ihm tatsächlich den lang ersehnten und hart erarbeiteten Erfolg. Nach der siebten und vierten wurde die dritte Sinfonie zu seinen Lebzeiten am häufigsten aufgeführt.
In der Dritten verwirklichte Bruckner ein neuartiges sinfonisches Konzept, in dem die Verarbeitung musikalischer Motive durch blockhafte Aneinanderreihung von Motiv-Varianten ersetzt wird; dies verstörte von Beginn an. Auch die religiöse Aura der klanggewaltigen Sinfonien Bruckners, die bald als "Messen ohne Text" galten, samt ihrer übermäßigen Länge erschwerten eine positive Aufnahme. Nicht eben hilfreich war auch, dass Bruckners dritte Sinfonie ausgerechnet Richard Wagner huldigte.
Für Bruckner war es eine Ehre, dass der von ihm so bewunderte Richard Wagner die Widmung zur dritten Sinfonie angenommen hatte. Eine musikalisch-thematische Verbindung zwischen den beiden Komponisten hört man hier allerdings nicht heraus, höchstens noch in der ersten Fassung. Trotz der Veränderungen am Werk bleibt die Widmung bestehen. Hinter ihr musste also eine andere Motivation stecken. Schritt für Schritt setzte Bruckner seinen Weg zum Erfolg fort und verfolgte seine Karriere systematisch und ehrgeizig. Da könnte er sich sicherlich überlegt haben, inwieweit so eine Widmung für die Anerkennung seiner Sinfonien nützlich sein konnte. Bruckner unterstellt man somit damit ein berechnendes Verhalten, obgleich es auch unumstritten ist, dass er Wagner sehr schätzte. Damit stieg folglich aber auch der Druck, dass dieses Werk erfolgreich werden musste, um seinem großen Vorbild gerecht zu werden. Dies könnte also ein weiterer Grund für ihn gewesen sein, die Sinfonie so umfangreich umzuarbeiten.
Für die heutige Rezeption stellen die verschiedenen Fassungen der Sinfonien ein gewisses Problem dar. Die Urversion repräsentiert in der Regel die "ungebändigte" Großform, während die späteren Umarbeitungen thematisch konzentrierter und stilistisch angepasster sind. Bruckner selbst bezeichnete seine Revisionen stets als Verbesserungen.
Die dritte Sinfonie beginnt sehr geheimnisvoll, von entscheidender Bedeutung ist das fanfarenartige Trompetenthema. Im Adagio zitiert die Urfassung der Sinfonie unverblümt das Sehnsuchtsmotiv aus "Tristan und Isolde". Einen absoluten Gegensatz bildet die wilde Ausgelassenheit des Scherzos mit einem oberösterreichischen Bauerntanz. Das Finale vereint eine Tanzmelodie mit einem Bläserchoral, dazu Bruckner: "die Polka bedeutet den Humor und Frohsinn in der Welt - der Choral das Traurige, Schmerzliche in ihr". Am Ende setzt das Trompetenthema vom Beginn den machtvollen Schlusspunkt der Sinfonie.
Vielleicht macht gerade Bruckners innere Zerrissenheit, die man in dieser Musik wahrnimmt, den Reiz der dritten Sinfonie aus. Einerseits versucht er, einen eigenen Kompositionsstil zu entwickeln, sich als Künstler zu etablieren, andererseits schreibt er, was dem Publikum gefallen soll. Was sagt das über seine Person aus? War er zu diesem Zeitpunkt seines Lebens so unsicher, fehlte ihm das Selbstbewusstsein und das dicke Fell, über dem Urteil seiner Kritiker zu stehen? Mit seinen unterschiedlichen Fassungen stiftet das Werk auch heute noch Verwirrung: Es wird diskutiert, warum die eine häufiger aufgeführt wird als die anderen und welche die authentischere ist.
Drei Konzertmitschnitte stelle ich Ihnen heute zur Auswahl, zunächst mit dem NDR Sinfonieorchester (heute: NDR Elbphilharmonie Orchester) unter der Leitung von Günter Wand, aufgezeichnet am 3. Oktober 1992 im Berliner Konzerthaus am Gendarmenmarkt:
Zum Vergleich: Sir Georg Solti mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, aufgezeichnet 1993 in der Münchner Philharmonie im Gasteig:
Und zum Abschluss noch ein historischer Fund aus dem Archiv: Die Wiener Philharmoniker unter der Leitung von George Szell, aufgezeichnet im Rahmen der Wiener Festwochen am 5. April 1966 im Wiener Musikverein:
Ihnen allen ein schönes Wochenende mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler