Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
heute stelle ich Ihnen einen Liederzyklus eines Komponisten vor, der überwiegend durch sein Adagio for Strings bekannt ist: Die Hermit Songs op. 29 von Samuel Barber.
Womöglich Barbers bestbekannter Liederzyklus sind die Hermit Songs op. 29, eine Gruppe von zehn Vertonungen von Übersetzungen mittelalterlicher gälischer und lateinischer Texte, die irischen Heiligen und Geistlichen zugeschrieben sind. Der Komponist selbst schrieb über diese Lieder: „Es sind Vertonungen anonymer irischer Texte aus dem 8.-13. Jahrhundert, die - oft am Rande der Manuskripte, die sie kopierten oder illuminierten - von Mönchen und Gelehrten geschrieben wurden, und die womöglich oft nicht von ihrem Pater superior gesehen werden sollten. Es sind kleine Gedichte, Gedanken oder Beobachtungen, oft sehr kurz, und sprechen auf direkte, eigenartige und oft überraschend moderne Weise über das schlichte, der Natur, den Tieren und Gott nahe Leben, das diese Menschen führten.“
Diese anmutigen, zum größten Teil kurzen und geschickt skizzierten Lieder wurden 1952–53 komponiert und der großen amerikanischen Kunstmäzenin Elizabeth Sprague Coolidge gewidmet, deren Stiftung Barber ein Stipendium gewährt hatte, um das Werk zu vollenden. Die Uraufführung fand am 30. Oktober 1953 im Coolidge Auditorium der Library of Congress in Washington statt, mit der jungen und damals noch unbekannten Sopranistin Leontyne Price und dem Komponisten am Klavier.
Barbers gewählte Texte - deren Übersetzungen teilweise speziell für ihn angefertigt wurden - sind sehr unterschiedlich und reichen vom frommen "The Crucifixion" mit seinem kalten Vogelgeschrei bis zum spielerischen "The Monk and His Cat". Seine Vertonungen sind gleichermaßen wohl kontrastiert, vom epigrammatischen "Promiscuity" bis zur ausgedehnten Meditation ("The Desire for Hermitage") und scheinen einen Überblick über Barbers Bandbreite an Stimmungen und Charakterisierung sowie seinen Humor zu bieten. Die Lieder sind alle ohne Taktangabe geschrieben, eine Technik, die ihre Flexiblilität in Phrasierung und Wortvertonung unterstützt. Sie fallen zwar weitgehend in erkennbare Metren, aber die flüssig changierende Taktlänge des scherzohaften "The Heavenly Banquet" oder der motorischen Toccata von "Sea Snatch" bestätigen, dass die Betonungen in diesen Liedern von den Worten selbst bestimmt werden statt eines unabhängigen musikalischen Musters. Es gibt außerdem Passagen freien Rezitativs ohne Taktstriche wie in der Einleitung zu "St. Ita’s Vision" (der Hauptteil des Liedes ist eine zarte Berceuse) oder eine Klavierkadenz, die den intensiven Höhepunkt in "The Desire for Hermitage" bildet. Das zierreiche, synkopierte "The Praises of God" ist ein Lied, in dem Barber der Liederschreibweise seines engen Zeitgenossen und Freundes Benjamin Britten nahe kommt. Das beliebteste all dieser Lieder ist womöglich "The Monk and his Cat", bekannt aus dem aus der Katzenliteratur berühmten Gedicht „Pangur, white Pangur, / How happy we are“. Hier beschwören der träge fließende Rhythmus, die knirschend miauenden Sekunden des Klaviers und die blueshafte Harmonik einen warmen Eindruck vollkommener Behaglichkeit von Katze und Mensch herauf.
Im folgenden Link sind Matthew Polenzani und Ken Noda zu erleben, der Konzertmitschnitt entstand am 29. März 2015 im Rahmen der Parlance Chamber Concerts in Ridgewood (New Jersey):
Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler