Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
Alban Bergs Oper "Wozzeck" ist eine der wichtigsten Opern des 20. Jahrhunderts und gehört längst zu den Klassikern des Musiktheaters. Das Werk ist anspruchsvoll, sowohl was den Orchesterpart als auch die Gesangsrollen betrifft. Hier sind alle Artikulationsformen der Sprache gefordert: von der Deklamation über das tonhöhenfixierte Sprechen bis zum Gesang.
Alban Bergs Opernstoff ist das ausweglose Drama eines geschundenen Menschen am unteren Ende der Gesellschaft: Der unermüdlich schuftende, aber trotzdem mittellose Soldat Wozzeck verliert immer mehr die Kontrolle über sein Leben und seinen Verstand. Ihn erfassen immer heftigere psychotische Schübe, bis er im Wahn auf seine Gefährtin Marie einsticht und sie tötet. An all dem trägt Wozzecks Umfeld eine Mitschuld: Wegen seiner unehelichen Beziehung samt Kind wird er von seinem Vorgesetzten gedemütigt, von einem Doktor für medizinische Experimente missbraucht, schließlich von Marie mit dem ranghöheren Tambourmajor betrogen. All das löst die Spirale seiner Wahnvorstellungen mit aus. Den ausführlichen Inhalt finden Sie wie immer am Ende dieses Newsletters.
Es war ein historischer Kriminalfall aus dem frühen 19. Jahrhundert, der erstmals in der Rechtsgeschichte die Frage nach pathologisch bedingter Schuldunfähigkeit aufwarf und der Georg Büchner zu seinem Schauspiel anregte. 1837 durch den frühen Tod des revolutionär gesinnten Schriftstellers als Fragment hinterlassen, fand es erst 1913 den Weg auf die Bühne. Eine Aufführung im Wiener Residenztheater war es wiederum, die Alban Berg 1914 auf das Sujet der ersten abendfüllenden atonalen Oper überhaupt brachte. Ihm gelang eine aufwühlende, expressionistische Partitur, die einerseits exakt durchkonstruiert ist, andererseits eine elementare Wucht entfaltet.
Alles an dieser Musik schien neu und dabei formal wie emotionell begründet. Die Behandlung von Singstimmen und Orchester war den szenischen Handlungen mit naturalistischer Treue angeglichen. Rezitativ, Arioso und Sprechgesang im Geist von Arnold Schönbergs „Pierrot lunaire“ fanden ihren logischen Platz in der Dramaturgie. Berg hatte von Büchners Vorlage 15 Szenen ausgesucht und in drei Akte zu je fünf Szenen eingeteilt. Jeder Akt hatte eine durchkomponierte Form, die sich ihrerseits aus traditionellen Formen zusammensetzte. In der Tonsprache verbindet Berg tonale, polytonale und atonale Mittel. Seine epochalen Neuerungen standen also auf dem festen Boden der Tradition.
Die Uraufführung am 14. Dezember 1925 an der Berliner Lindenoper unter Erich Kleiber war noch sehr umstritten. Berg sollte den endgültigen Triumph seines „Wozzeck“ nicht mehr erleben. Heute ist diese zutiefst humane Oper, die in gewisser Weise auch eine Passionsmusik ist, als Meisterwerk des 20. Jahrhunderts längst im Repertoire angekommen.
Meine heutige Empfehlung kommt aus Wien: Die Inszenierung von Adolf Dresen an der Staatsoper wurde am 14. Juni 1987 live vom ORF übertragen. Die Hauptpartien sind besetzt mit Franz Grundheber (Wozzeck), Hildegard Behrens (Marie), Walter Raffeiner (Tambourmajor), Philip Langridge (Andres) Heinz Zednik (Hauptmann) und Aage Haugland (Doktor), die Wiener Sängerknaben und das Orchester der Wiener Staatsoper werden geleitet von Claudio Abbado:
Ihnen allen ein schönes Wochenende mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler
Inhalt
1. Akt
Zimmer des Hauptmanns. Frühmorgens. Wozzeck ist dem Hauptmann zu Diensten. Der Hauptmann belehrt Wozzeck, sich nicht zu eilen und zwängt ihm ein Gespräch auf: Er klagt über den rasenden Fortschritt der Welt, sinniert über die Ewigkeit, schwatzt über das Wetter. Er spöttelt über Wozzeck und lässt diesem kein Wort. Endlich trifft er den wunden Punkt: Er kommt auf die Moral und Wozzecks uneheliches Kind zu sprechen. Wozzeck verteidigt sich mit Verweis auf seine Lage: Ohne Geld kann man sich keine Moral leisten, er befindet sich hoffnungslos auf der Seite der Verlierer. In einem Anflug von Rührung gibt der Hauptmann ihm ein Trinkgeld und ermahnt ihn zu Ruhe und mehr Besonnenheit.
Freies Feld. Spätnachmittags. Wozzeck und sein Freund Andres arbeiten nach Feierabend. Draußen vor der Stadt schneiden sie Spießruten für den Major. Wozzeck kann sich nicht auf die Arbeit konzentrieren. Er hat Visionen und hört Stimmen, die er nicht enträtseln kann. Andres fürchtet sich und will Wozzeck mit komischen Liedern ablenken. Wozzeck erscheinen Himmel und Erde in Feuer. Darin Marie, seine Liebste und Mutter seines Kindes.
Mariens Stube. Abends. Auf der Straße ziehen Soldaten vorbei. Marie ist erregt von der Marschmusik und kann den Blick nicht vom Tambourmajor lassen. Die Nachbarin Margret sieht Maries Bewunderung für diesen Mann. Mit keifenden Beleidigungen reißt sie Marie aus ihren Träumen. Marie beginnt ihrem Kind ein Schlaflied zu singen und wartet auf die Liebe. Wozzeck kommt, muss jedoch gleich wieder fort. Er will Marie von seinen Visionen berichten. Sie kann ihn nicht verstehen. Wozzeck hetzt weiter und lässt Marie in Dunkelheit und Enge zurück.
Studierstube des Doktors. Sonniger Nachmittag. Der Doktor ist unzufrieden mit Wozzeck, weil er seine Anweisungen nicht befolgt hat. Der Doktor benutzt Wozzecks Körper für zahlreiche Experimente, dank derer er Unsterblichkeit erlangen will. Er bezahlt sein Versuchsobjekt. Wozzeck entschuldigt sich mit Verweis auf die natürlichen Bedürfnisse. Der Doktor erklärt den Sieg der Vernunft und des Willens über die Natur. Wozzeck vertraut dem Doktor seine Ängste an: immer nur denkt er an Marie, dass er sie verlieren wird und alles seinem Ende zugeht. Der Doktor versteht ihn nicht. Er attestiert Wozzeck Symptome einer Geistesstörung und gerät darüber außer sich vor Freude.
Straße vor Mariens Tür. Abenddämmerung. Marie, die ihre Einsamkeit und Begierde nicht mehr aushält, lässt sich mit dem Tambourmajor ein. Sie flirtet, weist ihn zurück. Endlich erstickt sie ihre letzten Bedenken und geht mit dem Mann ins Bett.
2. Akt
Mariens Stube. Vormittag, Sonnenschein. Vor dem Spiegel bewundert Marie die Ohrringe, die ihr der Tambourmajor geschenkt hat. Mit dem glitzernden Schmuck fühlt sie sich wie eine Dame von Welt. Das Kind sieht zu. Marie jagt dem Kind Angst ein, weil es nicht schlafen will. Wozzeck kommt unerwartet und sieht den neuen Glanz an Marie, obwohl sie die Ohrringe in den Händen verbirgt. Misstrauisch stellt er Fragen, Marie weicht ihnen aus. Wozzeck gibt Marie wie gewohnt seinen Sold und alles Dazuverdiente und lässt sie mit einem schlechten Gewissen zurück.
Straße in der Stadt. Tag. Während des Spazierengehens trifft der Hauptmann auf den Doktor, der zu einem seiner zahlreichen Todeskandidaten eilt. Der Hauptmann hält den Doktor mit Belehrungen auf, da fängt dieser ein Gespräch über den Tod an. Er diagnostiziert dem Hauptmann einen miserablen Gesundheitszustand und stellt ihm schlimme Erkrankungen in Aussicht. Dem Hauptmann wird unwohl. Als ihnen Wozzeck in die Arme läuft, machen sich beide einen Spaß daraus, auf Maries Untreue anzuspielen. Wozzeck, zunächst ahnungslos, versteht bald und verliert allen Boden unter den Füßen.
Straße vor Mariens Wohnungstür. Trüber Tag. Wozzeck bedrängt Marie mit Fragen. Er will die Wahrheit über ihr Verhältnis mit dem Tambourmajor wissen. Marie weist die Vorwürfe zurück. Als Wozzeck sie packen will, wehrt sie sich: „lieber ein Messer in den Leib, als eine Hand auf mich.“ Mit diesen Worten lässt sie den verstörten Wozzeck zurück.
Wirtshausgarten. Spätabends. Marie trifft den Tambourmajor. Alles trinkt und tanzt, nur Wozzeck sitzt abseits und starrt verzweifelt seine Marie an, die ihm in ihrem Taumel ganz fremd vorkommt. Zwei Betrunkene philosophieren über den Sinn des Lebens. Wozzeck geht jeder Sinn verloren, er wünscht den Untergang der Welt. Andres versucht mit Wozzeck ins Gespräch zu kommen, doch sind ihm dessen dunkle Gedanken zu fremd. Ein Narr sagt Wozzeck ein blutiges Ende voraus.
Wachstube in der Kaserne. Nachts. Wozzeck liegt in der Kaserne und kann nicht einschlafen. In seinem Kopf spielt die Musik auch nach dem letzten Tanz immer weiter. Er ist besessen vom Bild Maries in den Armen des Tambourmajors. Auch ein Stoßgebet zu Gott hilft nicht. Der Tambourmajor wird zur Realität: Besoffen prahlt er vor Wozzeck mit seiner Männlichkeit und den Reizen von Marie, die er besessen hat. Dann schlägt er Wozzeck zusammen. Die anderen schauen zu.
3. Akt
Mariens Stube. Es ist Nacht. Marie ist gequält von Schuldgefühlen und sucht Antwort in den Evangelien. Sie fürchtet die Blicke ihres Kindes. So erzählt sie ihm ein Märchen vom Ende der Welt. Das Kind will keine Märchen mehr hören. Marie schreit einen Heiland um Vergebung an und wartet auf Wozzeck, der schon einige Tage nicht nachhause kam.
Waldweg am Teich. Es dunkelt. Nächtlicher Spaziergang eines Paares. Wozzeck geht mit Marie an den Teich. Es ist kalt und Marie will nach Hause. Wozzeck, weil er Marie nicht halten kann, sticht sie mit einem Messer nieder.
Eine Schenke. Nacht. Wozzeck flieht ins Wirtshaus. Dort will er sich an Margret wärmen, will trinken, singen und vergessen. Margret entdeckt Blut an Wozzecks Händen. Alle sehen das Blut, da kann auch Wozzeck es nicht mehr übersehen und ergreift die Flucht.
Waldweg am Teich. Mondnacht. Wozzeck, der Marie nicht vergessen kann, kehrt zum Teich zurück. Er sucht und findet das Messer, wirft es immer weiter in den See hinein. Das Wasser wäscht ihn von seiner Schuld nicht rein, alles scheint in Blut zu schwimmen. Der Doktor und der Hauptmann, ganz in der Nähe, hören ein Rufen und Stöhnen. Dem Hauptmann schauert es. Der Doktor stellt das Sterben eines Menschen fest. Beide gehen rasch ihrer Wege.
Vor Mariens Haustür. Heller Morgen. Sonnenschein. Kinderspiel. Unter den Spielenden auf dem Platz ist der Sohn von Wozzeck und Marie. Ein paar Kinder kommen mit der neuesten Nachricht: Man hat Maries Leiche gefunden. Die neugierigen Kinder rennen an den Teich, um sich den Tod anzuschauen. Wozzecks Sohn bleibt allein zurück.