Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
in der heutigen Ausgabe erwartet Sie Leonard Bernsteins einziger Beitrag in der Gattung Filmmusik: Die Sinfonische Suite "On The Waterfront".
Acht Oscars gab's 1955 insgesamt für den Film "Die Faust im Nacken". Der Film um mafiöse Machenschaften im Milieu amerikanischer Hafenarbeiter gilt auch heute noch als Meisterwerk. Leonard Bernsteins Filmmusik ist heute ein beliebtes Orchesterwerk - Bernstein selbst aber war nicht sehr glücklich mit seinen Erfahrungen in Hollywood.
So fangen Hollywood-Filme in den 1950er Jahren eigentlich nicht an. Wenn die Titel auf der Leinwand erscheinen, erklingt normalerweise das volle Orchester. Die Zuschauer bei der New Yorker Premierenvorführung von "Die Faust im Nacken" hören am 28. Juli 1954 zunächst jedoch nur ein einsames Horn. Eine Melodie, sehr amerikanisch eingefärbt mit einer Bluenote, ein bisschen melancholisch, aber auch stolz. "With dignity" steht in den Noten - zu spielen "mit Würde". Es ist die Erkennungsmelodie für den Filmhelden Terry, gespielt von Marlon Brando.
Bald schon rumpeln die Trommeln los, in die sich jazzig ein Saxophon mischt, während uns die Kamera mit in die Welt der Hafenarbeiter nimmt. Die Welt, in der dieser Film spielt. Eine raue Welt - das sagt auch die Musik. Es dauert keine dreieinhalb Minuten, und der erste Mann ist tot. Tempo, Bilder, Schnitt, Darsteller, Musik - dieser Film ist ein Meisterwerk.
Der Inhalt in Kürze: Der Hafenarbeiter Terry Malloy (Marlon Brando, synchronisiert übrigens von Harald Juhnke) war ein aufstrebender Boxer, bis ihn der mächtige lokale Mafiaboss Johnny Friendly (Lee J. Cobb) überredete, einen Kampf zu bestreiten. Als ein Hafenarbeiter ermordet wird, bevor er über Friendlys Kontrolle über das Hafenviertel von Hoboken aussagen kann, tut sich Terry mit der Schwester des Toten, Edie (Eva Marie Saint), und dem gewieften Priester Pater Barry (Karl Malden) zusammen, um gegen den Rat von Friendlys Anwalt, Terrys älterem Bruder Charley (Rod Steiger), selbst auszusagen... - hier der Trailer:
Der Mann, der den prägnanten Soundtrack zu "Die Faust im Nacken" liefert, ist ein junger Star der amerikanischen Musikszene - als Komponist, aber auch am Pult: Mit seinen 35 Jahren dirigiert Leonard Bernstein das New York Philharmonic und hat sich in Europa bereits einen Namen gemacht im Orchestergraben der Mailänder Scala bei der Produktion von "Medea" mit Maria Callas. Jetzt also der erste Hollywood-Soundtrack. Obwohl Regisseur Elia Kazan es sich zuletzt mit vielen verscherzt hatte: Vor dem "Komitee für unamerikanische Umtriebe" hatte er Kollegen verpfiffen, vermeintliche "Kommunisten". Für diesen Auftritt hatte auch Bernstein wenig Verständnis. Und er wird schließlich auch nicht glücklich mit diesem Projekt. "So sitzt man als Komponist da, protestiert so gut man kann, und akzeptiert schweren Herzens, dass ein ordentlicher Teil der Musik einfach so rausfliegt", resignierte Bernstein über das Leben als Filmkomponist.
Auch von den acht Oscars für "Die Faust im Nacken" geht keiner an Bernstein - obwohl er nominiert ist. Altmeister Dmitri Tiomkin macht das Rennen, mit einem konventionellen Soundtrack dieser Epoche, aus heutiger Sicht völlig unverständlich. Bernstein macht, was ihm Kollegen als Trost empfohlen hatten - er arbeitet die Noten zu einer Suite für den Konzertsaal um. Er hat das Leben als Hollywood-Komponist schlicht nicht nötig und schreibt nie wieder eine Filmmusik.
Unser heutiger Konzertmitschnitt kommt aus Spanien - das Spanish Radio and Television Orchestra spielte unter der Leitung von Christian Lindberg Bernsteins
Sinfonische Suite "On The Waterfront" am 22. März 2019 im Teatro Monumental in Madrid:
Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler