Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
der vierte Advent ist in diesem Jahr zugleich auch der Heilige Abend. Auch in dieser Ausgabe soll ein Werk im Mittelpunkt stehen, das gerne öfter in Weihnachtskonzerten erklingen dürfte: "In terra pax" von Gerald Finzi.
"In terra pax" ist ein Meisterwerk in Miniaturform, die Finzis Pazifismus und seinen Glauben daran, dass wohlwollende Männer und Frauen harmonisch zusammenleben sollten, widerspiegelt. Musikalisch fußt das Stück auf drei Bausteinen: das Schlagen der Glocken, die die frohe Botschaft verkünden, eine Phrase des Weihnachtsliedes "The First Nowell" und der Halleluja-Refrain aus dem Lied "Let us rejoice".
Eine Reihe von Tragödien erschütterten Finzi in seinen frühen Jahren zutiefst. Als er 18 Jahre alt war, hatte er seinen Vater, drei ältere Brüder und seinen geliebten Musiklehrer verloren, die im Kampf gefallen waren. Diese schreckliche Abfolge von Ereignissen und die entsetzlichen Verluste des Ersten Weltkriegs, die den Hintergrund seiner Jugend bildeten, gaben Finzi ein scharfes Bewusstsein für die Vergänglichkeit des Lebens, das mit grimmiger Endgültigkeit bestätigt wurde, als er im Alter von 50 Jahren erfuhr, dass er aufgrund einer Leukämie-Erkrankung dem Tod geweiht war. Diese Erfahrungen erklären zu einem großen Teil den Anflug von Melancholie, der einem Großteil seiner Musik zugrunde liegt.
Finzis musikalische Inspiration entsprang in erster Linie seiner Liebe zur Literatur und zur englischen Landschaft - dieselben Quellen, die Elgar und Vaughan Williams inspirierten. "In Terra Pax" wurde 1954 komponiert und war fast das letzte Stück, das Finzi schrieb, obwohl seine Entstehung auf ein Ereignis etwa 30 Jahre zuvor zurückgeführt werden kann, als er an einem Heiligabend zur Kirche auf dem Gipfel seines geliebten Chosen Hill gestiegen war, zwischen Gloucester und Cheltenham. Der Klang der Mitternachtsglocken, die über den frostigen Tälern von Gloucestershire erklangen, hinterließ offenbar einen bleibenden Eindruck bei ihm und lieferte im Nachhinein die Idee zu „In Terra Pax“, wie er Vaughan Williams erzählte.
Das Werk ist eine Vertonung zweier Verse aus Robert Bridges‘ Gedicht „Noel: Christmas Eve, 1913“ mit dem Untertitel „Pax hominibus bonae voluntatis“ (Frieden und Wohlwollen allen Menschen), die Finzi fantasievoll und geschickt verwendet, um den Bericht des heiligen Lukas (die Erscheinung der Engel vor den Hirten) zu umrahmen. "In Terra Pax" trägt es den Untertitel „Weihnachtsszene“, und Finzi erklärte, dass „die Geburt Christi zu einer Vision wird, die ein Wanderer an einem dunklen und frostigen Weihnachtsabend in unserer eigenen vertrauten Landschaft sieht“. Diese Einbettung der biblischen Geschichte in einen englischen pastoralen Kontext steht völlig im Einklang mit Finzis enger Affinität zur Tradition der englischen Romantik und seinem lebenslangen Engagement für die Schaffung seines eigenen ländlichen Paradieses in seinem Haus in Ashmansworth in der Nähe von Newbury.
Die beiden Solisten und der Chor haben klar definierte musikalische Rollen: Der Bariton-Solist übernimmt die Stimme des Dichters, die Sopranistin übernimmt die Rolle des Engels, während der Chor den bekannten Bibeltext erzählt. Im Eröffnungsteil steht der Dichter auf einem Hügel und denkt über die Ereignisse des ersten Weihnachtsfestes nach, wobei der Klang der fernen Kirchenglocken für ihn zum Klang eines Engelchors wird. Dieses Bild kommt in einem Glockengeläutmotiv zum Ausdruck, das zusammen mit dem Refrain von „The First Nowell“ die musikalische Struktur des Stücks bildet.
Finzi muss sich, vielleicht mehr als die meisten anderen, der schrecklichen Ironie bewusst gewesen sein, dass Bridges' beruhigender Pax-Hominibus kurz darauf den Ausbruch des Ersten Weltkriegs nach sich zog, doch trotzdem und trotz seines eigenen endgültigen Niedergangs ist "In Terra Pax" ein strahlendes, optimistisches Werk von großer Schönheit und Aufrichtigkeit; ein Miniatur-Meisterwerk, das Emotionen, Bilder und die bekannten Ereignisse der Weihnachtsgeschichte zu einer fesselnden musikalischen Erzählung vereint, die zugleich persönlich und doch universell ist.
Unser heutiger Konzertmitschnitt kommt aus Kanada: Am 8. Dezember 2018 wurde Finzis "In terra pax" mit Melissa Genin, Matthew Pollishuke, den Vox Choirs und dem Sneak Peek Orchestra unter der Leitung von Dallas Bergen in der Metropolitan United Church in Toronto aufgeführt:
Ihnen allen wünsche ich frohe Weihnachten, verbunden mit dem Wunsch, dass der Titel unseres heutigen Musikstücks bald Realität wird: Et in terra Pax - Und Frieden auf Erden.
Matthias Wengler