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28.11.2022 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 406

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

die "Unvollendete" und die "Große C-Dur-Sinfonie" zählen zu Franz Schuberts beliebtesten Werken und sind oft im Konzertsaal zu erleben. Die zuvor entstandenen sechs Sinfonien erklingen deutlich seltener - daher heute mal wieder ein Spot auf eines dieser Jugendwerke: Franz Schuberts Sinfonie Nr. 3 D-Dur D 200.

„Wer könne nach Beethoven noch etwas machen?“, soll Schubert schon im jugendlichen Alter gefragt haben. Diese Frage war zugleich Aufgabe und Herausforderung für viele Komponisten noch zu Lebzeiten Beethovens und in der Zeit danach. Doch die Situation hat es bei Schubert nie gegeben, dass ein Notenblatt mangels Inspiration leer blieb. Sein Schaffensdrang war bereits in der Jugendzeit immens, wie sonst hätte er die überwältigende Zahl von rund eintausend Werken (davon über 600 Lieder) in seiner nur kurz bemessenen Lebenszeit schaffen können? Vieles davon wurde allerdings erst nach seinem Tod veröffentlicht und uraufgeführt.

Als Schubert seine erste Sinfonie schrieb, hatte Beethoven gerade mit viel Erfolg seine Achte fertiggestellt und aufgeführt. Die ersten sechs Sinfonien Schuberts, alle zwischen 1813 und 1818 entstanden, sind Jugendwerke in der bewussten Nachfolge von Haydn, Mozart und Beethoven. Sie leben von einem kompositorischen Elan und einer jugendlichen Genialität, sie sind geprägt von einer bemerkenswerten Unbekümmertheit und dadurch auch Ursprünglichkeit. Und dennoch: das Schubert-Eigene sollte man dabei nicht aus dem Blick verlieren. Es ist manchmal erstaunlich, denkt man nur an den Schlusssatz der ersten Sinfonie, wie viel Selbstbewusstein der nur 15-jährige Komponist schon entwickelte.

Diese Sinfonien waren eigentlich gar nicht für die große Öffentlichkeit gedacht. Sie waren auf das Können und den Geschmack der Wiener Dilettanten zugeschnitten, geschrieben für bürgerliche Orchestervereinigungen und namentlich für das Orchester der Schüler und Studenten des Stadtkonvikts in Wien. Hier lebte Schubert einige Jahre als Sängerknabe der Wiener Hofkapelle und spielte als zweiter Geiger im Orchester mit. Man traf sich allabendlich zum Musizieren im geschlossenen Kreis und spielte alles, was die Klassik zu bieten hatte. Nach dem Stimmbruch musste Schubert das Konvikt wieder verlassen und wurde Hilfslehrer bei seinem Vater: Franz hatte die Elementarschüler der Lichtenthaler Vorstadt zu unterrichteten.

Die D-Dur-Sinfonie entstand im Mai bis Juli 1815 und wurde zunächst nur im privaten Kreis aufgeführt. Zum ersten Mal erklang sie in der Wohnung des Wiener Kaufmanns Franz Frischling in der Dorotheergasse, wo sich unter der Leitung des Geigers Joseph Prohaska einmal in der Woche Berufsmusiker und Amateure zum gemeinsamen Musizieren trafen. Die Wiener Öffentlichkeit bekam von solchen oft ungezwungenen musikalischen Treffen nichts mit; eine erste öffentliche Aufführung fand aber erst 1881(!!!) in London statt.

Der gerade 18-jährige Schubert war in diesem Jahr 1815 besonders produktiv: neben der Sinfonie schrieb er fünf Opern, ein Streichquartett, zwei Klaviersonaten, Chorstücke, Lieder und anderes mehr. Diese dritte Sinfonie, in der optimistischen Tonart D-Dur stehend, zählt auch heute noch zum festen Bestand der Amateurorchester. Sie lässt es nicht an der obligatorischen langsamen Einleitung fehlen: das kurze Adagio maestoso setzt die klassische sinfonische Tradition fort. Dann aber bricht im Allegro con brio ein wirklicher Schubert durch. Eine durchdachte Instrumentation im Orchester begleitet ein liebevolles Duett von Klarinette und Flöte. Insgesamt nimmt die Klarinette in dieser Sinfonie eine herausragende Stellung ein: ihre pastellhaften Töne zielen ganz in die Romantik, zumal Flöte und Oboe der melodischen Spur folgen.

Das anschließende Allegretto ist der schnellste „langsame Satz“, den Schubert je geschrieben hat. Die volksliedhafte Melodie hat eine gesellige Behaglichkeit in munterer Gangart, Streicher und Bläser musizieren im Wechsel. Im Menuett des dritten Satzes oder im Walzer-Trio der Holzbläser, mit dem die derbe Atmosphäre Grinzinger Heurigenlokale heraufbeschworen wird. Tanzen kann man solche Rhythmen allerdings nicht mehr. Hier will Schubert ganz klar den Dreierrhythmus aufbrechen. Der Akzent ist immer verschoben und bringt alles aus dem Gleichgewicht. Das Finale im Presto vivace nimmt im schnellen 6/8-Takt eine rasante Fahrt auf. In überraschenden Wendungen und ausgelassenen Einfällen zeigt Schubert Lebensfreude und überschäumende Geselligkeit. Mit vier hastig hingeworfenen Schlussakkorden wird die Sinfonie relativ abrupt beendet. Dem jungen Schubert ist keine andere Lösung eingefallen, den schnellen Lauf zum Stehen zu bringen. Dennoch wird in dieser Sinfonie bereits die Fähigkeit des Komponisten deutlich, effektiv und zügig zu schreiben.

Unter Leitung seines damaligen Ehrendirigenten Günter Wand gastierte das NDR-Sinfonieorchester (heute: NDR Elbphilharmonie Orchester) u. a. mit Schuberts dritter Sinfonie am 3. Oktober 1992 in einem Konzert zum Tag der Deutschen Einheit im Berliner Konzerthaus (damals noch Schauspielhaus) am Gendarmenmarkt:

www.youtube.com/watch

Zum Vergleich: Das Philharmonische Staatsorchester Hamburg unter der Leitung von Kent Nagano in einem Mitschnitt vom 29. Mai 2021 aus der Elbphilharmonie:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Urlaubsgrüßen von der Ostsee

Matthias Wengler

Beitrag von sd