Suche

Musik in schwierigen Zeiten Ansicht

01.02.2023 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 432

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

political correctness herrscht derzeit auf nahezu allen Ebenen - selbst vor Bühnenwerken wird nicht mehr Halt gemacht. An der Komischen Oper Berlin feierte eine bekannte Operette von Johann Strauss im Juni 2021 ihre Premiere mit Anführungszeichen: Der "Zigeuner"baron. Die Ouvertüre ist unser heutiges Musikstück.

Schon der Titel dieses Stücks bietet ausreichend Anlass für kontrovers geführte Debatten. Dabei reichen die Meinungen von einer strikten Tilgung des als diffamierend empfundenen Begriffs "Zigeuner" als einziger möglicher Umgang mit diesem bis hin zu emotionalen Verteidigungen à la "Mein Zigeunerschnitzel wollen sie mir auch noch nehmen!?"

Allerdings ist die Handlung der Operette wesentlich vielschichtiger, ihre Charaktere nicht so eindimensional, wie es uns traditionelle Inszenierungsmuster glauben machen wollen: Ein mittelloser, junger Emigrant, der in seine Heimat zurückkehrt und den elterlichen Besitz nur mehr als Ruine vorfindet; ein prahlerischer, reicher Schweinezüchter, der sich eben dieses Besitzes bemächtigt hat; ein Adliger, der sich als konservativer Sittenwächter geriert und sich dabei auf "die gute alte Zeit" beruft, und eine von der Gemeinschaft ausgeschlossene Minderheit, die von der privilegierten Schicht kollektiv als "Zigeuner" bezeichnet wird - es ist eine explosive Mischung, die Ignaz Schnitzer in seinem Libretto vereint. Und das nicht aus Zufall: Als Reflexion des österreichisch-ungarischen Ausgleichs von 1867 geschrieben, thematisierte die Operette zu ihrer Entstehungszeit in unterhaltsam spielerischer Form das Selbstverständnis und den Selbstfindungsprozess des k. u. k. Vielvölkerstaates.

Ungewöhnlich lange komponierte Johann Strauss an seinem "Zigeunerbaron". Dass für die Uraufführung des Werkes zeitweise die Wiener Hofoper im Gespräch war, merkt man der Operette an, die sich im musikalischen Gestus und in den groß angelegten Finali immer wieder der Oper annähert. Neben "Die Fledermaus" und "Eine Nacht in Venedig" zählt "Der Zigeunerbaron" zu Strauss’ populärsten Operetten. Mit ihrer meisterhaften Vermischung von wienerischen und ungarischen Klängen gehört die Partitur zum Besten aus der Feder des Walzerkönigs.

Die Ouvertüre zum "Zigeunerbaron", dessen Uraufführung am 24. Oktober 1885 im Theater an der Wien gegeben wurde, enthält Musik aus den ersten beiden Akten der Operette. Die Orchesterpassagen Allegro moderato und Andantino finden sich im Finale des ersten Akts, während das Allegro moderato dem Trio für Saffi, Czipra und Barinkay im zweiten Akt entnommen ist. Das auf ein melodramatisches Intermezzo folgende Tempo di Valse ist das wichtigste Walzerthema im Finale des zweiten Akts. Zigeunerrhythmen dominieren die das Stück beschließenden Allegro-Abschnitte.

Die "Zigeunerbaron"-Ouvertüre wurde rasch zum festen Bestandteil des Wiener Konzertrepertoires und hat diese Rolle berechtigterweise bis heute behaupten können. Zwei Mitschnitte stelle ich Ihnen heute gerne vor: Zunächst die Wiener Philharmoniker mit Carlos Kleiber, weltweit live übertragen am 1. Januar 1992 im Rahmen des Neujahrskonzerts:

www.youtube.com/watch

Und zum Vergleich noch die Berliner Philharmoniker unter der Leitung von Herbert von Karajan, aufgezeichnet am 31. Dezember 1983 im Rahmen des Silvesterkonzerts in der Berliner Philharmonie:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von sd