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04.08.2025 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 808

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

die Oper für dieses Wochenende hatte ihre Premiere in London, wie so oft wurde italienisch gesungen - der Komponist stammte aber aus Deutschland: "Semele" von Georg Friedrich Händel. Das Werk nimmt eine Schlüsselstellung in seinem Schaffen ein.

Händel stellte das Komponieren und Aufführen italienischer Opern in London nach 1741 ein und entschied sich, sein musikalisches Hauptschaffen auf nicht-inszenierte, englische Theaterwerke zu begrenzen. Während des Sommers 1743 versuchte der Earl of Middlesex den 58-jährigen Komponisten mit einem Angebot über £1,000 zu verlocken, zwei neue Opern zu schreiben. Händel nahm zunächst den Auftrag an, änderte dann aber seine Meinung, wies sogar stur die persönlichen Bitten des Prince of Wales zurück und organisierte stattdessen seine eigene Fasten-Serie von zwölf Abonnement-Konzerten am Covent Garden.

Zur ungefähr gleichen Zeit wie die Zurückweisung der wiederholten Bitten der Operngesellschaft von Lord Middlesex komponierte Händel das offenkundig opernhafte Unterhaltungskonzert "Semele" zu einem altenglischen Opernlibretto des Bühnenautors William Congreve - eine ganz außergewöhnliche Entscheidung, welche die meist adeligen Lobbyisten der italienischen Oper stark verärgert haben muss. Er begann mit dem Schreiben der Musik am 3. Juni 1743, stellte den ersten Akt am 13. Juni, den zweiten am 20. Juni und die komplette Partitur des ganzen Werkes am 4. Juli fertig; die Fertigstellung dauerte also insgesamt nur einen Monat und einen Tag.

Congreve war Sir John Vanbrughs Partner bei der Planung, beim Bau und bei der künstlerischen Leitung des Queen’s Theatres auf dem Haymarket gewesen (nach der Regentschaft von George I. in King’s Theatre umbenannt). Für dieses Theater komponierte Händel auch die meisten seiner italienischen Opern. Als es erstmals geplant worden war, hatte man allerdings gehofft, dass diese Aufführungsstätte die Entwicklung komplett gesungener, englischsprachiger Opern fördern würde. Mit diesem Ziel im Kopf begründete Congreve seine "Semele", eine Oper auf einer Fabel in Ovids Metamorphosen und fasste ihren Inhalt zusammen:

Ein Stoff, der von Shakespeare hätte sein können: Händels Semele will mehr, als ihr zusteht. Jung, hübsch, aristokratisch winkte ihr als Tochter des Königs von Theben eine ungewöhnliche irdische Karriere. Aber ihre Schönheit bezauberte auch den ewigen Stenz Jupiter, der die verlockende Frau für sich als Geliebte gewinnen wollte. Also legte sich der Gott der Götter ins Zeug, umwarb und eroberte die Holde mit seinem Charme und der Errichtung eines eigenen Freudenpalastes für den Neuzugang im himmlischen Harem. Das allerdings passte Göttergattin Juno gar nicht. Sie sann nach Rache und fand sie in der menschlichen Gier. Denn Semele war eitel. Sie war vollkommen überzeugt vom Wert ihrer Erscheinung und davon, dass sie damit dem Liebhaber alles abringen konnte, was sie wollte. Als sie aber, den Einflüsterungen Junos folgend, Jupiter dazu verpflichtete, sich ihr nicht in menschlicher, sondern in göttlicher Gestalt zu zeigen, ertrug sie den Anblick nicht und verging. Juno hatte gesiegt, eine neuer Gott entstand aus der Asche Semeles und die Menschen hoben ihr Glas auf die Wiederherstellung der Ordnung. Den ausführlichen Inhalt finden Sie wieder am Ende dieser Ausgabe. 

Die Musik beweist Händels messerscharfe, dramatische Instinkte; zweifelsohne ergötzte er sich an den verschiedenen Zutaten des Librettos: übernatürliche Begebenheiten, herzlicher Humor, extrovertierter Esprit, erotische Zärtlichkeit, unerfülltes Sehnen, mörderische Eifersucht, kokette Eitelkeit, tragische Verletzlichkeit, Euphorie und Verlust. Er widmete sich der Komposition seiner Musik mit großer Sorgfalt. Das zeigt sich im emotionalen oder seelischen Zustand der Charaktere, die mit einer reichen Palette an unterschiedlichen Orchesterbesetzungen in den Streichern und im Continuo gezeichnet wurden. Oboen und Fagotte werden nur sehr sparsam eingesetzt und Bläser tauchen nur in zwei Chören auf. In "Semele" gibt es mehr begleitete Rezitative als in allen anderen seiner Theaterwerke.

Die erste Aufführung von Semele erfolgte im Theatre-Royal in Covent Garden am 10. Februar 1744. An diesem Tag stand in der London Daily Post zu lesen, dass das Werk "nach Art und Weise eines Oratoriums zur Aufführung kommen würde". Händel hütete sich, es öffentlich eine Konzertoper oder ein weltliches englischsprachiges Musikdrama zu nennen, da solche Art der Unterhaltung während der Fastenzeit verboten war - allerdings war er auch vernünftig genug, es nicht als tatsächliches Oratorium zu deklarieren. Sogar einige seiner Anhänger missbilligten das Werk. Charles Jennens, dem Librettisten von "Saul" und "Messiah", widerstrebte die Unsittlichkeit Semeles so nachhaltig, dass er die einzige Wiederaufnahme im Dezember 1744 boykottierte und sich viele Jahre später beschwerte, dass es eine "schlüpfrige" Oper’ sei.

Zur heutigen Aufführung: Cecilia Bartoli in der Titelrolle, das Opernhaus Zürich als Spielort, Robert Carsen als Regisseur - da kann eigentlich nur eine herausragende Aufführung von Händels „Semele" entstehen. Tatsächlich wurde die Inszenierung ein international gefeierter Erfolg.

„Semele" ist für viele Händel-Fans einer der Höhepunkt überhaupt in dessen reichhaltigem Opernschaffen. Und sie stellt eine Herausforderung für zeitgenössische Regisseure dar. „Als Patrick Kinmonth und ich diese Inszenierung für das Festivals von Aix-en-Provence 1996 erstmals auf die Bühne brachten", erinnert sich Regisseur Robert Carsen, „verfolgten wir die Absicht, dramatisch umsetzbare Parallelen für jene Situationen zu finden, in denen Götter, Halbgötter und Menschen aneinander gebunden sind. … Semele ist keine Lolita, sie entstammt einem privilegierten, um nicht zu sagen aristokratischen Milieu. So kann man Jupiters "göttliche" Natur einfach dadurch andeuten, dass man ihn auf eine noch höhere soziale Stufe stellt".

Der besondere Reiz besteht aber auch in der Brillanz der Sprache Congreves, die Händel als Vorlage hatte: „Das macht "Semele" zu einem der subtilsten und anspruchsvollsten Werke, reich an Kontrastatmosphären und erotischer Spannung. Es ist eine Moralität aus dem 18.Jahrhundert, die ihr Publikum fasziniert und belehrt". Sie kommt dabei in besonderem Maße zur Geltung, wenn ein Gesangsstar wie Cecilia Bartoli in die Titelrolle schlüpft. Als Carsens Inszenierung im Züricher Opernhaus übernommen wurde, brillierte die römische Mezzosopranistin als vielschichtig in sich verschlungene Königstochter, deren Hybris sich voller Dramatik in die Selbstzerstörung wandte.

Aufgezeichnet wurde Händels „Semele" im Januar 2007 in Zürich, neben Bartoli mit Koryphäen wie Charles Workman (Jupiter), Birgit Remmert (Juno) und Liliana Nikiteanu (Ino, Semeles Schwester) im Ensemble. Das Orchester des Hauses leitete der Barock-Spezialist William Christie:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen ein schönes Wochenende mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von sd