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23.11.2023 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 556

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

heute erwartet Sie wieder einmal ein Stück aus der französischen Kammermusik-Literatur: Gabriel Faurés Violinsonate Nr. 1 A-Dur op. 13.

Im Jahre 1872 führte Camille Saint-Saëns den jungen Komponisten Gabriel Fauré in eine in musikalischen Kreisen überaus bedeutende Familie ein: Die berühmte Sängerin, Komponistin und Gesangspädagogin Pauline Viardot-Garcia, von Franz Liszt zur Pianistin ausgebildet, hatte auf Anraten ihrer Freundin George Sand 1839 den 21 Jahre älteren Louis Viardot geheiratet. Dieser gab seinen Posten als Direktor des Théâtre-Italien in Paris im darauffolgenden Jahr auf, um sich als ihr alleiniger Impresario ganz der Karriere seiner Frau widmen zu können. Das Ehepaar Viardot hatte vier ebenfalls musikalisch hochbegabte Kinder. Gabriel Fauré verliebte sich in die 1854 geborene Tochter Marianne und warb mehrere Jahre um sie. Eine Verlobung wurde 1877 geschlossen und wieder gelöst.

Am 26. Juli 1877 schreibt Pauline Viardot-Garcia an ihre Freundin Clara Schumann: „Marianne ist Braut seit vier Tagen. Ihr Bräutigam, Gabriel Fauré, ist ein junger Musiker von großem Talent als Komponist. Du kennst vielleicht von ihm eine Sonate für Clavier und Violine, die sehr viel Aufsehen diesen Winter in Paris gemacht hat. Er ist 31 Jahre alt, sehr gut, geistig, witzig, liebenswürdig - wir kennen ihn seit 5 Jahren! Er vergöttert Marianne und sie liebt ihn sehr - Er ist Maitre de Chapelle in der Kirche la Madeleine, gibt einige Klavierstunden - hat eine sehr anständige Stellung - er ist allgemeiner Liebling, auch bei uns im Hause, schon lange her.“ Maßlos enttäuscht darüber, dass Marianne die Verlobung gelöst hat, reist Fauré nach Weimar, wo er Franz Liszt begegnet, danach nach Köln, um bei der Produktion des „Ring des Nibelungen“ zu assistieren.

Schon 1874 hatte Pauline Viardot-Garcia in der Nachfolge ihrer Six Morceaux für Klavier und Violine von 1868 eine durchaus hörenswerte Sonatine in a-Moll für ihren Sohn Paul geschrieben. In dieser Zeit nun komponierte Gabriel Fauré seine Sonate A-Dur op. 13 für Violine und Klavier, die als Abschluss einer ersten Schaffensperiode angesehen werden kann. Fauré widmete die Sonate dem Bruder seiner zukünftigen Verlobten, dem später herausragenden Violinvirtuosen, Musikschriftsteller und Komponisten Paul Viardot. Es spricht für die außergewöhnlich rasche Popularität der Sonate, dass schon 1889 bei Breitkopf eine Adaption für Violoncello und Klavier erschienen ist.

„Man findet in dieser Sonate alles, was verführen kann: Neuheit der Formen, Besonderheit der Modulationen, kuriose Klänge, einen gänzlich unvorhersehbaren Gebrauch der Rhythmen; und über all dem waltet ein Zauber, der das ganze Werk umhüllt und der die breite Masse der gewöhnlichen Zuhörer dazu bringt, ungeahnte Kühnheiten als die natürlichste Sache von der Welt hinzunehmen … Monsieur Fauré hat durch diese Sonate mit einem Satz auf dem Niveau der Meister Platz genommen.“ Kaum ein kammermusikalisches Erstlingswerk dürfte so enthusiastisch begrüßt worden sein wie Gabriel Faurés erste Violinsonate in diesen Zeilen von Camille Saint-Saëns. Im Journal de Musique vom 7. April 1877 hob der Grandseigneur der Pariser Konzertsäle den jungen Kollegen aufs Schild früher Meisterschaft. Vergebliche Versuche, dem „Newcomer“ akademischen Kompositionsunterricht zu erteilen, hatten nicht verhindern können, dass zwischen beiden Komponisten eine tiefe Sympathie entstand. Faurés erste Violinsonate gab dem älteren Saint-Saëns die Gelegenheit, sich selbstlos für den Jüngeren einzusetzen - ähnlich, wie es zwanzig Jahre früher Schumann für Brahms getan hatte.

Faurés A-Dur-Sonate traf den Nerv der Zeit an einem Wendepunkt der französischen Musikgeschichte: Nach dem verlorenen Krieg gegen Preußen und dem Ende des Zweiten Kaiserreichs hatte die Franzosen eine nationale Euphorie erfasst, die auch künstlerisch nach Ausdruck rang. „Ars gallica“, eine typisch französische, von germanischen Vorbildern gereinigte Kunst, hieß das Gebot der Stunde. Auch die 1871 gegründete Société nationale de Musique hatte sich diese Devise auf die Fahnen geschrieben. Die von Saint-Saëns, Bizet, Franck u. a. gegründete Gesellschaft wurde zum wichtigsten Forum für neue französische Musik im Fin de siècle. Ihr Sekretär war seit 1874 Fauré, der später gestand, die Mitglieder der Gesellschaft hätten seine Musik anfänglich für „laut und dissonant“ gehalten. Mit der A-Dur-Sonate war dieser Bann gebrochen. Ihre Uraufführung in der Société wurde heftig bejubelt, so dass des Komponisten „kühnsten Träume“ gar noch übertroffen wurden. Er selbst spielte bei der Premiere den Klavierpart, Paul Viardot die Geigenstimme. Das Werk verhalf Fauré zum Durchbruch und der „Ars gallica“ zu ihrem ersten Epoche machenden Musikstück.

Unser heutiger Konzertmitschnitt stammt von den Schwetzinger SWR Festspielen. Im Mozartsaal des Schwetzinger Schlosses musizierten am 5. Mai 2013 Vilde Frang und Michail Lifits Gabriel Faurés Violinsonate Nr. 1 A-Dur op. 13:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von sd