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13.03.2025 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten 747

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Freunde der Kirchenmusik,

 

eine Rarität erwartet Sie in der heutigen Ausgabe: Robert Schumanns Dramatisches Gedicht "Manfred" op. 115


Etwas „ganz Neues und Unerhörtes“ werde das Publikum geboten bekommen, schrieb Robert Schumann Ende 1851 an Franz Liszt und bezog sich auf die Uraufführung seines Dramatischen Gedichts "Manfred". Bereits als Jurastudent hatte sich Schumann mit Byrons "Manfred"-Stoff beschäftigt, der ihn seitdem faszinierte. In der inneren Zerrissenheit des romantischen Helden entdeckte Schumann möglicherweise eine Geistesverwandtschaft zu sich selbst. Er entschied sich für eine szenische Umsetzung des Dramas mit Musik und träumte dabei von einer ganz neuen Gattung. Die schon 1848 komponierte Ouvertüre führte Schumann erstmals im März 1852 als separates Stück auf. 

 

Das Werk Byrons, dem Schumanns Musik zugrunde liegt, erregte 1817 in literarischen Kreisen ähnliches Aufsehen wie wenige Jahre zuvor Goethes „Werther“. Das dramatische Gedicht in drei Akten beschreibt einen von einer geheimnisvollen Schuld, einer „verbotenen Liebe“ gepeinigten, in sich zerrissenen Helden. Byron projiziert hier eigenes Erleben auf seine literarischen Figuren. Er unterhielt lange Zeit ein quasi inzestuöses Liebesverhältnis zu seiner Halbschwester Augusta. Manfred durchleidet schon auf Erden Höllenqualen (im Gegensatz zu Byron selbst, der eher damit kokettiert) und begreift sich als einsamer, von der Gesellschaft isolierter, seinen Mitmenschen entfremdeter Leidender. Keine Heilsbotschaft, keine Naturschönheit, weder die Geisterwelt noch menschliche Empathie vermögen dem Gequälten Linderung zu vermitteln. Noch im Tod umgibt ihn die Aura des tragisch an sich selbst scheiternden romantischen Helden. 

 

Das Werk spielt in einem mittelalterlich-düsteren Alpenschloss in der Schweiz mit weiteren Schauplätzen im Gebirge und auf der Jungfrau, ist angereichert mit schweizerischem Lokalkolorit (Alpenhexe, Gamsjäger) und Versatzstücken der Schauerromantik (Geisterbeschwörungen, Abt, Dämonen). Das nie für die Bühne konzipierte Stück erzeugte in romantischen Kreisen große Bewunderung. Überall tauchten damals dämonische, mit Weltschmerz versehene „Manfred"-Naturen“ auf. Das Phantastische und zugleich Geistige seines Wesens übte eine enorme Faszination auf empfindsame Naturen aus. 

 

Verständlich, dass auch Schumann hingerissen war. Er lässt sich durch Byrons Gedicht in Stimmungen versetzen, denen er dann musikalisch Ausdruck verleiht. Er identifiziert sich mit seinem Helden und empfindet wie dieser. Im Gegensatz zu der typischen Programmmusik beispielsweise eines Hector Berlioz, zu deren Verständnis die Kenntnis der Dichtung unabdingbar ist, vermittelt Schumann allgemein verständliche Empfindungen, die keiner Interpretation bedürfen. Schumann entzieht sich dadurch der Gefahr, seine Musik könnte der Vergessenheit anheimfallen, so wie es mit Byrons Werk weitgehend geschehen ist. Heutigen Zeitgenossen erscheinen die Phantasmagorien und emotionalen Sturzflüge des Stückes denn doch allzu weltfremd und überzogen. Im Gegensatz dazu zählt Schumanns "Manfred"-Ouvertüre zu seinen gelungensten Kompositionen. Der eigenen Einschätzung, die "Manfred"-Musik sei „eines meiner kräftigsten Kinder“, ist nichts hinzuzufügen. 


Hier zunächst drei Fassungen der "Manfred"-Ouvertüre. Vasily Petrenko entschied sich für die Orchestrierung von Gustav Mahler und führte diese Fassung am 29. Juli 2010 im Rahmen der BBC Proms in der Londoner Royal Albert Hall auf, es spielt das Royal Liverpool Philharmonic Orchestra:

 

www.youtube.com/watch

Ein Dirigent wurde durch dieses Werk über Nacht berühmt: Leonard Bernstein. Die Dirigentenlegende Bruno Walter sollte am 14. November 1943 das New York Philharmonic Orchestra in der Carnegie Hall dirigieren - und wurde krank. Chefdirigent Artur Rodzinski weilte auf seiner Farm, eingeschneit. Und auch das noch: Bernstein hatte nach einem eigenen Konzert bis vier Uhr früh gefeiert - obwohl er schon gewusst hatte, dass Walter fiebrig war. Es half nichts: Am Vormittag rief der Orchestermanager an: "Bruno Walter ist krank, für eine Probe ist keine Zeit mehr, Walter will am Krankenbett die Partitur noch einmal mit Dir durchgehen." Bernstein fuhr ans Krankenbett und dann in die Carnegie Hall - und war entgegen seines Naturells doch ein wenig aufgeregt. Keines der Stücke außer der geplanten Zugabe hatte er je dirigiert. Das Konzert wurde landesweit im Rundfunk übertragen.


Aber alles ging gut. Bei jedem Stück wurde der Applaus - des tatsächlich anfangs skeptischen - Publikums stärker und steigerte sich schließlich zu Ovationen. Leonards elfjähriger Bruder Burton schrieb später, das Publikum habe am Ende gebrüllt wie ein einziges großes Tier. Und der große Bruder: Verbeugte sich artig, ließ, wie sein Bruder schrieb, sein tolles Lächeln aufblitzen - und schaute bei jedem Mal noch hohläugiger aus. Danach habe er vier Whiskys gekippt und sich großartig gefühlt, sagte Bernstein später. Und wohl auch kapiert, was da passiert war. Oder wie es ein Violinist des Orchesters ausdrückte: "Es war wie im Film: A star was born."

Am nächsten Tag berichtete die New York Times darüber auf ihrer Titelseite.

 

Den Mitschnitt der "Manfred"-Ouvertüre aus dem Konzert vom 14. November 1943 können Sie hier hören:

 

www.youtube.com/watch


42 Jahre später dirigierte Leonard Bernstein das Werk noch einmal - hier der Mitschnitt vom 2. November 1985 aus dem Wiener Musikverein mit den Wiener Philharmonikern, zuvor erklingt noch Carl Maria von Webers "Euryanthe"-Ouvertüre, aufgezeichnet am 26. November 1983:

 

www.youtube.com/watch

 

Selten kommt es zu einer Aufführung der vollständigen Schauspielmusik - hier ein Mitschnitt aus dem TivolVredenburg in Utrecht vom 11. November 2016 mit Franz Tscherne als Sprecher, die Solisten sind Alwyn Mellor, Anke Vondung, Brenden Gunnell und Klaus Häger. Der Groot Omroepkoor und das Radio Filharmonisch Orkest

werden von Markus Stenz geleitet:

 

www.youtube.com/watch

 

Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

 

Matthias Wengler

Beitrag von sd