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05.08.2024 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 661

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

heute wird weiter geschmiedet an Richard Wagners "Ring des Nibelungen". Nach dem "Rheingold" im letzten Jahr erwartet Sie in der heutigen Ausgabe "Die Walküre".

In der Tetralogie "Der Ring des Nibelungen", der Wagner den bezeichnenden Untertitel "Ein Bühnenfestspiel für drei Tage und einen Vorabend" gab, bildet "Die Walküre" den Ersten Tag, nach dem Vorabend "Das Rheingold". Der Beginn der Entstehungsgeschichte der Tetralogie wird gern ins Jahr 1848 gelegt, weil Wagner in diesem Jahr einen Prosaentwurf verfasste, der aufgrund seiner Titel "Die Nibelungensage" (Erstschrift) bzw. "Die Sage von den Nibelungen" (Reinschrift) suggeriert, es handele sich bereits um den "Ring des Nibelungen". Doch entstand die Idee dazu erst im Herbst 1851. Als Wagner nämlich im November 1848 - zu jener Zeit Dresdener Hofkapellmeister - das Textbuch zu der Heldenoper "Siegfried’s Tod" verfasste, hatte er eine einzelne Oper im Sinn, und auch nach dem missglückten Dresdner Aufstand von 1849, an dem er beteiligt war, und seiner Flucht in die Schweiz hielt er noch an dieser Zielsetzung fest.

Im Sommer 1850 begann er in Zürich mit der Komposition von "Siegfried’s Tod", brach die Arbeit allerdings nach kurzer Zeit ab. Ein knappes Jahr später, im Mai 1851, entwickelte er dann den Plan eines Doppeldramas: "Siegfried’s Tod" sollte durch das Voranstellen eines zweiten Stücks mit dem Titel "Der junge Siegfried" (später nur: "Siegfried") mehr Schlüssigkeit erhalten. Doch auch diese Ausdehnung genügte Wagners dramatisch-dramaturgischen Ansprüchen nicht. Im November 1851 notierte er die ersten Textskizzen zu "Das Rheingold" und "Die Walküre", 1852 folgten die Textbücher. Das zur Walküre wurde im Juni 1852 niedergeschrieben.

Ihre Premiere erlebte "Die Walküre" am 26. Juni 1870 in München, allerdings gegen den ausdrücklichen Willen Wagners, der keine separate Aufführung zulassen wollte. Nach seiner Vorstellung war "Die Walküre" nur innerhalb der gesamten Tetralogie sinnvoll und verständlich. Allerdings hatte er König Ludwig II. von Bayern, der seit 1864 sein ebenso honoriger wie großzügiger Gönner war, die autographe Partitur geschenkt und ihm überdies die Rechte an der Tetralogie verkauft. Er konnte daher nicht verhindern, dass der König, der begierig war, die bereits fertigen Teile zu hören, ihre Aufführung kurzerhand per Befehl durchsetzte.  

Nachdem am Ende von „Rheingold“ die Götterburg Walhall bezogen wurde, menschelt es im zweiten Teil der „Ring“-Tetralogie gewaltig. „Es handelt sich um Inzest und Ehebruch - man ist begeistert.“ Mit diesem Bonmot resümierte Loriot eines der schönsten und zugleich verstörendsten Liebesduette der Operngeschichte. Doch bis zu dieser Szene am Ende des ersten Aufzugs der Oper „Die Walküre“ vergeht erst einmal eine Stunde, in der die Handlung aus dem „Rheingold“ fortgesetzt wird, wenn auch die göttliche Szenerie vorerst der weltlichen weichen muss: Siegmund sucht als Sohn Wotans seine verlorene Zwillingsschwester Sieglinde und kommt an der Wohnstätte Hundings an - nicht ahnend, dass dieser Sieglinde einst geraubt und geehelicht hat und sie nun bei sich gefangen hält. Die Geschwister begegnen einander, ohne sich zu erkennen. Allein Hunding erkennt in dem jungen Mann Sieglindes Bruder und fordert diesen zum Zweikampf am nächsten Morgen auf. Nachdem sich Hunding zur Ruhe gelegt hat, erzählt Sieglinde Siegmund von einem Schwert im Stamm einer Esche, das von einem mysteriösen Fremden vor langer Zeit dort hineingestoßen war. Die Waffe sei demjenigen bestimmt, der es herauszuziehen vermag, was bislang niemandem gelang. Siegmund indes zieht es mühelos aus dem Stamm, woraufhin sich beide Geschwister erkennen und in besagte inzestuöse Ekstase verfallen.

Der zweite Aufzug versetzt den Hörer wieder zurück in die göttlichen Sphären, wo Wotan noch immer daran arbeitet, sich des Rings zu bemächtigen, der noch immer im Besitz Fafners ist. Da dem Göttervater per Vertrag die Hände gebunden sind, Fafner zu töten, setzt er seine Hoffnungen auf Siegmund. Ihm soll Wotans Lieblingstochter, die Walküre Brünnhilde, im bevorstehenden Kampf beistehen. Jedoch sind auch Götter an Normen und Werte gebunden, zu denen auch Treue in der Ehe gehört, die das Geschwisterpaar ganz offenkundig gebrochen hat. Wotans wird daher von seiner Ehefrau Fricka umgestimmt und gibt die Planänderung zugunsten Hundings an Brünnhilde weiter.

Die jedoch widersetzt sich dem Göttervater, weshalb er selbst eingreifen muss und Siegmunds Schwert mit seinem Speer zerschlägt. Brünnhilde wird - als Strafe für ihren Ungehorsam - ihres Walkürenstatus’ beraubt, zum Menschen degradiert und in einen „wehrlosen Schlaf“ versetzt, umringt von einer Feuerwand. Demjenigen, der diese durchschreitet, soll sie fortan als Weib dienen. Natürlich zählt Wotan dabei insgeheim auf jenen Helden, den Sieglinde demnächst gebären wird: Der Inzest aus dem ersten Akt nämlich zeigt seine Wirkung.

Trotz einer Aufführungsdauer von knapp vier Stunden ist die zweite Oper der Ring-Tetralogie bemerkenswert kurzweilig: Regisseure können sich an dem hoch dramatischen und atmosphärisch dichten Werk regelrecht austoben, während die Musik gleichzeitig anspruchsvoll und eingängig ist - auch abseits des „Walküren-Ritts“, der zu den meist zitierten Film- und Fernsehmusiken gehört - hier zu sehen im Waldbühnenkonzert der Berliner Philharmoniker unter der Leitung von James Levine aus dem Jahr 1999:

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Zwei Aufführungen der "Walkür" empfehle ich Ihnen sehr gerne - zunächst die Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf an der Wiener Staatsoper aus dem Jahr 2016 mit folgender Besetzung: Christopher Ventris (Siegmund), Ain Anger (Hunding),  Tomasz Konieczny (Wotan), Waltraud Meier (Sieglinde), Linda Watson (Brünnhilde),
Michaela Schuster (Fricka), Caroline Wenborne (Gerhilde), Hyuna Ko (Ortlinde), Margaret Plummer (Waltraute), Carole Wilson (Schwertleite), Regine Hangler (Helmwige), Ulrike Helzel (Siegrune), Ilseyar Khayrullova (Grimgerde) und Isabel Seebacher (Rossweisse), die musikalische Leitung hat Adam Fischer:

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Zum Vergleich die Inszenierung von Patrice Chéreau, die als "Jahrhundert"-Ring 1976 bei den Bayreuther Festspielen Operngeschichte geschrieben hat. Damals hatte man das 100-jährige Bestehen des Festivals gefeiert, gleichzeitig auch den 100. Jahrestag der ersten kompletten zyklischen „Ring“-Aufführung - und hatte für dieses besondere Ereignis erstmals die Inszenierung außerhalb der Wagner-Familie vergeben. Chéreaus radikale Deutung des „Rings“ (angesiedelt in der Zeit der Frühindustrialisierung) als Parabel auf die Umbrüche des 19. Jahrhunderts, als „eine Beschreibung der Perversion der Gesellschaft, die sich in der Erhaltung der Macht begründet“ (Zitat Patrice Chéreau), ist zuerst vehement abgelehnt worden, um dann (bis 1980) dank der starken Bildsprache, der Stringenz der Produktion und der Intensität der Aufführungen immer mehr gefeiert zu werden. Die musikalische Leitung hatte Pierre Boulez, die Besetzung: Peter Hofmann (Siegmund), Matti Salminen (Hunding), Donald McIntyre (Wotan), Jeannie Altmeyer (Sieglinde), Gwyneth Jones (Brünhilde), Hanna Schwarz (Fricka), Carmen Reppel (Gerhilde), Karmen Middleton (Ortlinde), Gabriele Schnaut (Waltraute), Gwendolyn Killebrew (Schwertleite), Katie Clarke (Helmwige), Marga Schiml (Siegrune), Ilse Gramatzki (Grimgerde) und Elisabeth Glauser (Rossweisse):

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Ein Extra: Immer wieder wird der erste Aufzug der "Walküre" auch als konzertante Aufführung dargeboten, so auch im Benefizkonzert der Staatsoper Unter den Linden vom 27. November 1993. Zu erleben sind Deborah Polaski (Sieglinde), Placido Domingo (Siegmund) und John Tomlinson (Hunding), es musiziert die Staatskapelle Berlin unter der Leitung von Daniel Barenboim:

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Letzte Empfehlung für heute: Eine Einführung in "Die Walküre" mit Cornelius Meister, Generalmusikdirektor an der Staatsoper Stuttgart. Im Video teilt er seine Expertise: Rund 45 Minuten Insider-Wissen, verfeinert durch Musikbeispiele am Klavier, eine Einführung sowohl für Wagner-Neulinge als auch für eingefleischte Wagnerianer:innen Inzest, Eheprobleme, das komplizierte Zusammenleben einer Patchwork-Familie: um dies alles geht es in der „Walküre“. Aber wie klingt es? Warum weiß das Orchester, wer Siegmunds Vater ist, während er selbst es nicht weiß? Und wie verrät uns das Orchester dies?

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Ihnen allen ein schönes Wochenende mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
 
Matthias Wengler
 

Handlung

Vorgeschichte

In mythischer Vorzeit ruht Erda in „wissendem Schlaf“; die Welt-Esche wächst und gedeiht, in ihrem Schatten entspringt die Quelle der Weisheit. Wotan, „ein kühner Gott“, will sich Macht erlangen. Er opfert ein Auge, trinkt von der Quelle, bricht einen Ast aus der Esche und formt ihn zum Speeresschaft, in den er Runen als Vertragszeichen schneidet: Wotan will nicht durch Gewalt-Willkür, sondern durch Gesetzes-Verträge herrschen. Doch die Quelle der Weisheit versiegt, die Welt-Esche verdorrt allmählich, die Gesetze und Verträge werden von Wotan, dem es nach Macht und Liebe verlangt, selbst gebrochen.
Der Nibelung Alberich hingegen hat der Liebe abgeschworen und konnte sich so aus dem Rheingold einen Ring schmieden, der die Herrschaft über die Welt ermöglicht. Wotan hat ihm diesen verfluchten Ring nun gestohlen, um damit den Riesen den Bau seiner Götterburg Walhall zu bezahlen. Er ist tief in seine eigene Schuldfessel verstrickt und sucht einen Ausweg.
Um mehr zu erfahren, zwingt Wotan Erda „mit Liebeszauber“ und erfährt von seinem bevorstehenden Ende durch Alberich. Erda gebiert ihm Brünnhilde und zusammen mit acht weiteren Walküren sammelt Brünnhilde im Kampf gefallene Helden ein, die Wotans Macht schützen sollen. Er fürchtet, dass Alberich den Ring zurückgewinnt, den derzeit Fafner in Gestalt eines Drachen ungenutzt besitzt. Wotan kann den Ring nicht selbst entwenden, da er damit nur weiter in seinen Gesetzesfrevel geriete. Es bedarf eines „Freien“, der gegen die göttliche Ordnung aufbegehrt, und so zeugt Wotan als Wälse mit einer Menschenfrau das Zwillingspaar Siegmund und Sieglinde. All seine Hoffnung in das Paar setzend verfügt er über beider Trennung, Leid und Not.
Siegmund findet die Mutter erschlagen, die Schwester verschleppt und verliert schließlich auch den Vater, mit dem er als Wolfspaar auf ständiger Flucht war. Sieglinde wurde Hundings Weib, „das ungefragt Schächer ihm schenkten zur Frau“. Auf ihrer gewaltsamen Hochzeit ist „ein Greis im grauen Gewand“ mit tiefhängendem Hut erschienen und hat ein Schwert „in der Esche Stamm“ gestoßen, das niemand wieder herauszuziehen vermochte.

1. Aufzug
Auf der Flucht erreicht Siegmund verwundet Hundings Haus und wird von Sieglinde liebevoll mit Trank und Trost umsorgt. Hunding kommt von der Jagd und spürt sofort eine Bindung zwischen den beiden. Siegmund gibt sich als Wölfing zu erkennen und erzählt seine unheilvolle Geschichte. Zuletzt hat er ein Mädchen vor Zwangsheirat retten wollen und deren Brüder im Kampf erschlagen. Dadurch erkennt Hunding, dass Siegmund der von seiner eigenen Sippe Gejagte ist. Bevor er sich mit seiner Frau für die Nacht zurückzieht, fordert Hunding den Waffenlosen zum Zweikampf am nächsten Morgen.
Siegmund hofft auf das Schwert, das sein Vater Wälse ihm einst in höchster Not verheißen hat. Heimlich kehrt Sieglinde zurück. Sie hat ihrem Gatten ein Schlafmittel verabreicht und erzählt Siegmund die Geschichte vom Schwert. „Im milden Lichte leuchtet der Lenz“ als Sieglinde ihren Zwilling erkennt, der das Schwert jetzt herausziehen kann und es „Nothung“ tauft. Zu allem entschlossen gibt sich Sieglinde dem geliebten Bruder hin; „so blühe denn, Wälsungen-Blut!“

2. Aufzug
Wotan hat als Wälse nicht nur Siegmund und Sieglinde, sondern als Gott mit Erda auch Brünnhilde gezeugt sowie acht weitere Walküren hervorgebracht, die gefallene Helden zum Schutze Walhalls sammeln. Er befiehlt Brünnhilde, „dem Wälsung kiese sie Sieg“ im bevorstehenden Kampf mit Hunding.
Wotans Gemahlin Fricka ist über den inzestuösen Ehebruch der Wälsungen-Geschwister empört und fordert Strafe für den Frevel gegen göttliche Ordnung. Zutiefst verletzt über Wotans Untreue entlarvt sie seinen Plan, Siegmund als vermeintlich „Freien“ für seine Zwecke einzusetzen. Da dieser in der Not „das zauberstark zuckende Schwert“ nur durch göttliches Zutun erlangen konnte, verlangt Fricka von Wotan, Siegmund im Kampf mit Hunding zu fällen und befiehlt ihm, Brünnhilde als Instrument gegen seinen Willen zu nutzen.
Vor Brünnhilde bedauert sich Wotan als „Unfreiester aller“ und erzählt ihr vom Ring des Nibelungen: „Der Fluch, den ich floh, nicht flieht er nun mich“. Scheinbar resigniert will er nur noch eines: „das Ende!“ und befiehlt Brünnhilde, für Hunding den Sieg zu erfechten.
Siegmund und Sieglinde sind auf der Flucht. Sie hält sich für „entehrt, geschändet… der Würde bar“ und versucht, dem geliebten Bruder zu entfliehen – nicht etwa wegen des Geschwisterinzests, sondern weil sie Hunding gehorcht hat, „der ohne Minne sie hielt“. Als sie ohnmächtig in tiefen Schlaf fällt, erscheint Brünnhilde Siegmund und verkündet ihm den Tod und die Aufnahme in Walhalls Wonnen. Da aber Sieglinde nicht mit in die Götterburg darf, verweigert Siegmund Gefolgschaft. In aufbäumender Wut will er sich und seine schwangere Zwillingsschwester trotz „des Pfandes willen, das wonnig“ sie von ihm empfangen hat, töten. Zutiefst erschüttert ob dieser Liebesbereitschaft „in Lust und Leid“ bis in den Tod verspricht Brünnhilde Siegmund und Sieglinde nun „Segen und Sieg“. Doch im Kampf von Siegmund und Hunding greift Wotan selbst ein, zerschlägt mit seinem Speer das Schwert und lässt Hunding den Wälsung fällen. Brünnhilde greift die Schwertstücke und macht sich mit Sieglinde auf die Flucht.

3. Aufzug
Die Walküren treffen sich jauchzend, um mit den eingesammelten, gefallenen Helden nach Walhall zu ziehen: „Hojotoho!“ Doch Brünnhilde kommt nicht mit einem Mann, sondern mit Sieglinde; beide werden von Wotan verfolgt. Erst als die lebensmüde Sieglinde erfährt, dass sie schwanger ist, hat sie die Kraft, ins Ungewisse zu ziehen; sie erhält von Brünnhilde nicht nur die Schwertstücke, sondern flüchtet voll Hoffnung in den Wald, wo Fafner den Ring hütet.
Brünnhilde stellt sich Wotans Strafe, die er zornig der Verbannten vor aller Augen und Ohren verkündet: Sie soll als menschliches Weib „in wehrlosen Schlaf“ geschlossen und vom herrischen Fremden geweckt werden, um zu „verblühn und verbleichen dem Mann“; zur leichten Beute werden, „aller Spottenden Ziel und Spiel“! Brünnhilde verteidigt sich, da sie den inneren Willen des allherrschenden Walvaters befolgt habe und nicht den des selbstentfremdeten Ehemanns Frickas. Sie war aus Liebe bereit, „Sieg oder Tod mit Siegmund zu teilen“ und appelliert in höchster Not an Wotans Willen, sie für seine Zwecke einzusetzen – damit wird sie seines „Herzens heiligster Stolz“. Überwältigt verabschiedet er sich, küsst die Gottheit von ihr und lässt ein Feuer um sie entbrennen, dessen lodernde Glut alle bis auf den furchtlos freiesten Helden abschreckt, der gerade auf der Flucht von Sieglinde geboren wird und von Brünnhilde selbst bereits den Namen erhalten hat: Siegfried.

Beitrag von sd