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22.08.2023 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 519

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

für viele gehört sie zum Start in den Tag dazu: Die Tasse Kaffee. Längst überfällig daher heute endlich die passende Musik zum Getränk: Die Kantate "Schweigt stille, plaudert nicht" BWV 211 von Johann Sebastian Bach, auch einfach als "Kaffee"-Kantate bekannt.

Der edle Mokka war im weltläufigen Leipzig des Barock der letzte Schrei verfeinerter Lebensart. Nachdem Ende des 17. Jahrhunderts die ersten Kaffeebohnen in der Messestadt eingetroffen waren, sprießten Cafés um Börse und Marktplatz nur so aus dem Boden, allen voran das älteste sogenannte Caffè-Hauß "Zum Arabischen Coffe Baum", späterer Treffpunkt namhafter Persönlichkeiten wie E.T.A. Hoffmann, Goethe, Lessing, Wagner, Schumann und Grieg. Zugleich war der Kaffee jedoch ein von Theologen und manchen Ärzten angefeindetes, weil vermeintlich zur Sittenlosigkeit reizendes Modegetränk. Ein Arzt verbreitete zum Beispiel die Nachricht: „Zwei Leipziger Frauenzimmer, welche ein paar rechte Coffeeschwestern sein mochten, hatten sich durch diese üble Gewohnheit des täglichen Coffeetrinkens dermaßen übel zugerichtet, dass sie bis aufs Gerippe ausgezehret waren.“

Bachs bewährter Librettist Picander hat diese Konflikte 1732 in ein von Vater Schlendrian und Tochter Liesgen bestrittenes heiteres Drama verwandelt, das Bach wahrscheinlich 1734 für eine Aufführung seines im Zimmermann’schen Coffeehaus aufspielenden "Collegium musicum" vertonte. Im Jahr 1729 übernahm Bach in Leipzig die Leitung des einst von Telemann gegründeten Ensembles und konzertierte daraufhin dort mindestens einmal wöchentlich. Zu den Kompositionen, die wohl für die Auftritte dort komponiert wurden, gehört Bachs bekannte "Kaffee"-Kantate. Nur vordergründig geht es in diesem Werk um Tochter Liesgens Kaffeesucht, tatsächlich aber auch um die Erziehungsversuche des gestrengen Vaters Schlendrian, die doch letzten Endes wirkungslos bleiben...

Aus Bachs einprägsamer Figurenzeichnung spricht die Lebenserfahrung des viel geprüften Familienvaters, der dennoch seine Sympathie für das listig auf einen Bräutigam sinnende Liesgen nicht verleugnen kann. Dass der Thomaskantor die überraschende Schlusswendung selbst hinzugedichtet hat, ist nicht gesichert, würde aber zum feinen Humor und der eleganten Tiefgründigkeit dieser höchst charmanten Komposition passen.

Drei Aufführungen stelle ich Ihnen heute zur Auswahl, zunächst aus dem Jahr 1997 mit  Anne Grimm (Liesgen), Klaus Mertens (Schlendrian), Lothar Odinius (Erzähler) sowie das Amsterdam Baroque Orchestra unter der Leitung von Ton Koopman:

www.youtube.com/watch

1984 musizierten Janet Parry (Liesgen), Robert Holl (Schlendrian), Peter Schreier (Erzähler) sowie der Concentus musicus Wien unter der Leitung von Nikolaus Harnoncourt:

www.youtube.com/watch

Und zum Abschluss: Miriam Feuersinger (Liesgen), Dominik Wörner (Schlendrian), Sören Richter (Erzähler) sowie das Orchester der J. S. Bach-Stiftung unter der Leitung von Rudolf Lutz, aufgezeichnet am 23. Juni 2022 im Carmen Würth Saal des Würth Hauses Rorschach in St. Gallen:

www.youtube.com/watch

Letzte Empfehlung für heute - eine Einführung in die Kaffeekantate mit Rudolf Lutz und Dominik Wörner:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Urlaubsgrüßen von der Nordsee

Matthias Wengler

Beitrag von sd