Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
eines der spektakulärsten Werke für Orgel und Orchester erwartet Sie in der heutigen Ausgabe: Die Sinfonie Nr. 1 d-Moll op. 42 von Félix Alexandre Guilmant.
Eine zentrale Rolle im Musikleben spielten am Ende des 19. Jahrhunderts in Frankreich Camille Saint-Saëns, César Franck, Gabriel Fauré, Charles Marie Widor und Félix Alexandre Guilmant - alle waren im Hauptberuf Organisten. Sie wurden in ihrem gesamten kompositorischen Schaffen - nicht nur für Orgel, sondern auch für Orchester - wesentlich beeinflusst durch die neuen, am sinfonischen Ideal orientierten, klangmächtigen Orgeln des bedeutenden französischen Orgelbauers Aristide Cavaillé-Coll.
Félix Alexandre Guilmant widmete sich, anders als seine Kollegen, vor allem der Neubelebung Alter Musik und der Orgelkompositionen seinerzeit vergessener Meister wie Frescobaldi, Gabrieli, Byrd, Scheidt, Buxtehude, Pachelbel und etlicher französischer Orgelkomponisten. Seiner Begeisterung für Alte Musik entsprangen insgesamt zehn Bände mit Orgelmeistern des 16., 17. und 18. Jahrhunderts unter dem Titel "Archives des maîtres de l’Orgue" und 25 Bände "École classique de l’Orgue". Die Programmgestaltung seiner eigenen Konzerte, die den Pariser Organisten bis weit über die Grenzen Frankreichs hinaus führten, umfasste einen ungewöhnlich weiten musikgeschichtlichen Bogen von alten Meistern über das Gesamtwerk Bachs und die Romantik bis hin zu zeitgenössischen Werken - sein Repertoire galt als nahezu unerschöpflich.
Guilmants kompositorisches Schaffen, das einige Vokalwerke und Stücke für Klavier, vor allem jedoch Orgelsonaten und einfachere Piècen für Orgel umfasst, bediente sich der Vorbilder wie Händel und Bach ebenso wie Beethovens Sonatensatzform, der Charakterstücke Schumanns und der Orgelsonaten Mendelssohn Bartholdys.
Den beiden Sinfonien für Orgel und Orchester liegen Orgelsonaten zugrunde, die Guilmant erst später orchestrierte, ohne etwas an der musikalischen Substanz zu verändern. Die Sinfonie d-Moll op. 42, identisch mit Guilmants erster Orgelsonate, entstand 1874 und ist König Leopold II. von Belgien gewidmet. Neben einer großen Streicher- und der üblichen Holzbläserbesetzung werden vier Hörner, zwei Trompeten, drei Posaunen, eine Bass-Tuba und Pauken benötigt. In den letzten Takten seiner Sinfonie setzt Guilmant noch zusätzlich Becken und große Trommel ein. Guilmants Instrumentierung mag vielleicht nicht besonders raffiniert sein, ist jedoch aber sehr wirkungsvoll. Es ist unüberhörbar, dass er auch auf diesem Gebiet ein Könner war.
Guilmants Orgelsinfonie wurde am 22. August 1878 in Pariser Palais du Trocadéro uraufgeführt, Guilmant selbst spielte den Orgelpart und wurde vom Orchestre Colonne unter der Leitung seines Gründers Edouard Colonne begleitet. Auffallend in diesem extrovertierten Werk ist im Kopfsatz vor allem der enge, abwechselnde Dialog zwischen Orgel und Orchester und das wechselseitige Aufgreifen und Weiterführen der jeweiligen Themen und Motive, bis sich im Finale beide Parts vereinen und in gegenseitiger Zustimmung einem furiosen Finale entgegeneilen. Ganz anders der zweite Satz, den ein fugierter Orgelmonolog einleitet, um nach idyllischen Pastoralklängen in einen Choral überzuleiten, den ein lyrisches Geigenunisono überschwebt. Frisch und äußerst lebendig wirbeln im französischen Toccaten-Stil des finalen Allegro Sechzehntelketten aus der Orgel, die sich nach vorübergehender Beruhigung in einem weiteren Choralabschnitt mit Pauken, Trompeten, Blech und Trommeln verabschieden.
Guilmant prägte mit diesem Werk ausschlaggebend die Gattung der Orgelsinfonie. Der sehr eigene französisch-romantisch-sinfonische Stil der Orgelmusik des späten 19. Jahrhunderts strotzt vor Farbigkeit, warmen Klängen, Emotionen und Harmoniefülle.
Sehr gerne denke ich an ein Konzert in der Braunschweiger Katharinenkirche zurück, in dem ich dieses Werk einmal dirigieren durfte, der Solist war damals Landeskirchenmusikdirektor Claus-Eduard Hecker. Unser heutiger Mitschnitt kommt ebenfalls aus Braunschweig. Das Domsinfonieorchester spielte am 31. März 2019 unter der Leitung von Gerd-Peter Münden im Braunschweiger Dom Guilmants erste Orgelsinfonie, Solist war Witold Dulski:
Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler