Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
heute erwartet Sie ein aufwändiges Stück von Béla Bartók: Die Sonate für zwei Klaviere und Schlagzeug, später von ihm auch in einer Fassung als Konzert für Klaviere, Schlagzeug und Orchester bearbeitet.
Budapest im Jahr 1938. Der Klavierstudent Georg Solti, als Dirigent später weltberühmt, springt kurzfristig bei einem Konzert in der Staatsoper ein: Für die Pianistin des Abends hat er die Noten zu wenden. Sie ist mindestens so nervös wie ihr blätternder Assistent, denn es ist ihr erster Auftritt in diesem ehrwürdigen Haus. Ihr Name: Ditta Pásztory-Bartók. Wie Solti hat sie bei Béla Bartók Klavier studiert, und seit nunmehr 15 Jahren ist sie die Ehefrau des berühmten Komponisten.
Jetzt, in der Staatsoper, sitzt er an einem zweiten Klavier direkt neben ihr. Erstmals präsentieren sie in Budapest seine Sonate für zwei Klaviere und Schlagzeug. Georg Solti erinnert sich: "Ich habe nie wieder eine so erfolglose Aufführung erlebt - nachdem das Werk zu Ende war, blieb fast das gesamte Publikum still." Eine besondere Enttäuschung für Bartók an seinem Hauptwirkungsort, zumal die Uraufführung einige Monate zuvor in Basel begeistert bejubelt wurde. Entstanden war die Komposition im Auftrag des milliardenschweren Mäzens Paul Sacher, der sein Vermögen als Leiter des Pharma-Unternehmens Hoffmann-La Roche gemacht hatte.
Trotz dieses Rückschlags wird Bartóks Sonate für zwei Klaviere und Schlagzeug letztlich zu einem Erfolg: Es ist eines der meistgespielten Werke des Komponisten und hat die Musik des 20. Jahrhunderts nachhaltig beeinflusst. Nachdem Bartók 1940 in die USA emigriert ist, freut er sich über den Vorschlag seines Verlags, die Sonate als Konzert mit Orchesterbegleitung umzuarbeiten. Der Budapester Misserfolg ist da schon glücklich vergessen. Er macht sich also an die Arbeit, und am 21. Januar 1943 spielen Bartók und seine Frau Ditta Pásztory wieder gemeinsam - diesmal die Uraufführung der Orchesterfassung mit dem New York Philharmonic unter Fritz Reiner.
Für das Baseler Konzert mit der Sonatenfassung hatte Bartók eine Einführung verfasst, in der er die Soloinstrumente zueinander in Beziehung setzt: "Die beiden Schlagzeugstimmen nehmen eine den beiden Klavierstimmen ebenbürtige Stellung ein. Die Rolle des Schlagzeugs ist verschiedenartig: in vielen Fällen ist es nur eine Farbnuance zum Klavierklang, in anderen verstärkt es wichtige Akzente, gelegentlich bringt das Schlagzeug kontrapunktische Motive gegen die Klavierstimmen, und häufig spielen namentlich die Pauken und das Xylophon sogar Themen als Hauptstimme."
Das Zusammenspiel von zwei Klavieren mit Schlagzeug war damals etwas völlig Neues. Zuvor hatte Bartók das Schlagzeug eher als Klangfarbe denn als einfachen Rhythmusgeber eingesetzt, so im Mittelsatz seines ersten Klavierkonzerts; im dritten Satz der Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta benutzte er das Glissando der Pedalpauken als neuen Klangeffekt. Batóks Sonate für zwei Klaviere und Schlagzeug hat drei Sätze, hier allerdings in anderen Proportionen: Der erste Satz allein dauert länger als der zweite und dritte zusammen. Grundton ist hier C; und obwohl der Schlussakkord des ersten Satzes nur aus Grundton und Quinte besteht und die Terz, sei sie groß oder klein, meidet, schließt das Stück insgesamt doch in einem ungetrübten C-Dur-Akkord.
Nach der chromatisch mäandernden, mit einem Fis beginnenden Einleitung hat der erste Satz Bartóks eigener Analyse zufolge zwei Hauptthemen, die - wie in Beethovens „Waldstein-Sonate“ - auf den Tonstufen C und E stehen. Es folgt ein jazzig angehauchtes Thema über Glissando-Wirbeln der Pauken zwischen Fis und A; Bartók nennt es eine „Codetta“, doch lässt es sich auch als eigenständiges, drittes Thema hören, das durchgeführt wird und am Ende der Reprise in einem Fugato wiederkehrt. Der langsame Satz ist eine subtile Nachmusik in drei Abschnitten, dessen Stimmung an den dritten Satz der Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta erinnert. Düster klingt das langsame Anfangsthema; im zweiten Thema steigern sich nervöse Quintolen nach und nach auf einen Höhepunkt, dem ein Absinken folgt. Im Anschluss daran bewirkt Bartók durch einander überlappende chromatische Passagen der Klaviere einen eigenartigen Klangnebel, aus dem im zweiten Klavier die Reprise des ersten Themas hervorgeht.
Im Gegensatz zum zweiten ist der dritte Satz - wiederum ein Sonatensatz mit drei Themen - freudig und wohlgelaunt. Sein Hauptthema, das von fern an die Melodie des ersten von Beethovens Kontretänzen WoO14 erinnert, steht in einem Modus, den Bartók in der rumänischen Folklore entdeckt hatte: eine Dur-Tonleiter mit erhöhter vierter und erniedrigter siebter Stufe. Statt einer großen Apotheose erklingen am Schluss des Satzes unter den gehaltenen Akkorden der Klaviere und dem Klang des Hängebeckens Schläge der kleinen Trommel, werden nach und nach leiser und verschwinden im Nichts.
Hier zunächst das Konzert für zwei Klaviere, Schlagzeug und Orchester mit Lucas und Arthur Jussen, Peter Stracke und Johannes Wippermann sowie dem WDR Sinfonieorchester unter der Leitung von Cristian Măcelaru; der Mitschnitt entstand am 15. März 2024 in der Kölner Philharmonie:
Und hier noch das Werk in der Erstfassung: Die Sonate für zwei Klaviere und Schlagzeug, es musizieren in einer legendär gewordenen Einspielung aus dem Jahr 1988; es musizieren Sir Georg Solti, Murray Perahia, Evelyn Glennie und David Corkhill:
Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Urlaubsgrüßen von der Nordsee
Matthias Wengler