Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
an der heutigen Ausgabe ist wieder einmal ein Konzertbesuch schuld. Vor ein paar Wochen habe ich zum ersten Mal den Pianisten Daniil Trifonov gemeinsam mit dem Orchestra dell'Accademia Nazionale di Santa Cecilia unter der Leitung von Jakub Hrůša mit George Gershwins Concerto in F erleben dürfen. Das Konzert war ein Musterbeispiel dafür, wie ein perfekter Konzertabend sein sollte: Gute Musik, tolle Musiker:innen sowie ein aufmerksames und sehr begeisterungsfähiges Publikum. Die Zugabe von Daniil Trifonov vor der Konzertpause - eine Bearbeitung von Sergej Rachmaninoff - ist Anlass für das heutige Musikstück: Johann Sebastian Bachs Partita Nr. 3 E-Dur BWV 1006 für Violine solo.
Mit seinen Sonaten und Partiten für Violine solo trauerte Bach um seine verstorbene Frau Maria Barbara. Deswegen überwiegen in dem Zyklus die Moll-Tonarten. Bei der dritten und letzten Partita entscheidet sich Johann Sebastian Bach für ein helles strahlendes E-Dur.
Johann Sebastian Bachs Partita für Violine solo E-Dur beginnt mit einem virtuosen Präludium. Diese Satzbezeichnung verwendet Bach nur einmal in seinem Zyklus der Sonaten und Partiten für Violine solo: In anderen seiner Werke kommt sie jedoch häufig vor - zum Beispiel im "Wohltemperierten Klavier" jeweils im Wechsel mit einer Fuge. Hier ist das Präludium der Auftakt zu einer Folge von Tanzsätzen nach dem Vorbild einer traditionellen französischen Barocksuite. Ein Detail der Reinschrift verrät, dass wir es mit einem Stück im „französischen goût“ zu tun haben: Abgesehen vom Preludio tragen alle Sätze französische Bezeichnungen. Es handelt sich um „Galanterien“, wie man damals sagte, Modetänze vom französischen Hof, die die traditionellen Sätze der deutschen Suite (Allemande, Courante, Sarabande und Gigue) allmählich verdrängten. Natürlich darf das Menuett dabei nicht fehlen. Es tritt gleich im Paar alternativement auf (Menuet I-II), umrahmt von einer Gavotte en rondeau und einer Bourée, zwei weiteren Lieblingstänzen der Zeit. Auf das Preludio folgt unmittelbar eine Loure, ein Tanz mit schwer lastenden Akzenten im 6/4-Takt, den Bachs Freund und Kollege Telemann besonders liebte. Den Schluss bildet eine Gigue in der französischen Variante dieses ursprünglich schottischen Tanzes.
Den festlichen Ton der Suite legt das Preludio fest, die glanzvollste Etüde in Dreiklangsbrechungen, die Bach geschrieben hat. Er war sich der Wirkung dieses Satzes so sicher, dass er ihn für die verschiedensten Instrumente bearbeitete: für Laute bzw. Lautencembalo in einer späteren Fassung der gesamten Partita (BWV 1006a) und für Orgel mit Orchester. Die letztere Bearbeitung, deren Klangpracht mit Pauken und Trompeten man sich beim Hören des Originals kaum vorstellen kann, verwendete er als Sinfonia zur Kantate "Wir danken dir, Gott, wir danken dir" BWV 29.
In diesem Sinne ist wohl die ganze E-Dur-Partita zu verstehen: als Dank an den Schöpfer für die Vollendung eines Opus für Geige, das bis heute in seiner Kompositionskunst, seiner Vielfalt und inneren Größe unerreicht ist - Soli Deo Gloria, Gott allein zum Ruhm, wie Bach gesagt hätte.
Drei Interpreten möchte ich Ihnen zunächst mit dieser Partita vorstellen, zunächst Hilary Hahn:
Zum Vergleich: Itzhak Perlman, aufgezeichnet 1978 im Saint John's Smith Square:
Und zum Schluss: Gidon Kremer in einer Aufzeichnung aus dem Jahr 2006 in St. Nikolaus-Kirche in Lockenhaus:
Nun aber zurück zur Einleitung - drei Sätze der E-Dur-Partita hat Sergej Rachmaninoff für Klavier bearbeitet, das Preludio hat Daniil Trifonov im eingangs erwähnten Konzert als Zugabe gespielt, der Mitschnitt entstand im Mai 2016:
Hier die Gavotte aus der E-Dur Partita, ebenfalls für Klavier bearbeitet von Sergej Rachmaninoff; der Mitschnitt mit Daniil Trifonov entstand am 24. Juli 2014 im Rahmen des Verbier Musikfestivals:
Und hier alle drei Sätze der Bach-Partita in der Bearbeitung von Sergej Rachmaninoff mit Nikolai Lugansky, aufgezeichnet 2021 in der Moskauer Tschaikowsky Konzerthalle:
Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler