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29.07.2022 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 357

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

wenn Ihnen das heutige Musikstück spanisch vorkommt, ist das kein Zufall: Maurice Ravels Rapsodie espagnole.

Die Bilder Spaniens spielen seit jeher eine wichtige Rolle im musikalischen Bewusstsein der Franzosen. Möglicherweise rief der Reiz des Exotischen, in greifbarer Nähe jenseits der Pyrenäen, eine Art Gegenreaktion auf die Pariser Gediegenheit hervor und spornte mehrere Generationen französischer Komponisten zu temperamentvollen Werken an. So kam es, dass viele der „spanischen“ Werke aus dem klassischen Musikkanon eigentlich von Franzosen komponiert wurden. Einige der bekanntesten davon stammen von Maurice Ravel, der im Laufe seiner Karriere immer wieder vom „Spanienfieber“ erfasst wurde. Die Kompositionen seiner iberischen Glanzzeit im Jahr 1907, als er die Vocalise-Etude en forme de habanera, die Oper "L’heure espagnole" und die Rapsodie espagnole komponierte, gelten als eine Klasse für sich.

Die Uraufführung der Rapsodie espagnole im März 1908 löste bei der Kritik im Allgemeinen ein positives Echo aus, nur der Kritiker und Komponist Michel-Gaston Carraud, der Ravel nicht unvoreingenommen gegenüberstand, nannte die Rapsodie „dürftig“, Pierre Lalo war sie zu „pedantisch“. Man muss jedoch bedenken, dass es sich dabei um das erste große Orchesterwerk des Komponisten handelte, das vor Publikum aufgeführt wurde. Selbst wenn Ravel sich keiner überlieferten Melodien aus Spanien bediente, lässt sein meisterlicher Einsatz melodischer und rhythmischer Stilmittel keinen Zweifel darüber zu, in welchem Kulturkreis wir uns befinden.

Die Rapsodie espagnole beginnt mit einem myteriösen "Prélude à la nuit" an: Gleich zu Beginn wird dabei jenes absteigende Viertonmotiv in den Streichern vorgestellt, welches schleichende Unruhe verbreitet, das ganze Vorspiel bestimmt und in drei der vier Sätze bedeutsam wiederkehrt - eine bald aufrauschende Beschwörung, in die sich die arabeskenartigen Soli zweier Klarinetten und Fagotte mischen. Es folgt eine zwischen Feuer und Grübeln wechselnde "Malagueña", eine musikalische Form, die aus Fandangos in Málaga enstanden ist und dem Flamenco zugerechnet wird, sich aber eigentlich von jeder tänzerischen Ausführung emanzipiert hat. Tritt gegen deren Ende nach einem Englischhornsolo das Viertonmotiv erneut in Erscheinung, fehlt es in der lasziven "Habañera" (ein ursprünglich aus Kuba stammender und über Spanien in Europa populär gewordener Tanz), weil diese als Klavierwerk zu vier Händen schon 1895 entstanden ist, sich aber dennoch in den neuen Zusammenhang ohne Stilbruch einfügt. Den längsten Satz bildet die abschließende "Feria", in der turbulent-ausgelassene und getragene Abschnitte wechseln. Von geheimnisvollen Glissandi umrauscht, kehrt das Viertonmotiv wieder, bis am orgiastischen Schluss alle Kräfte zu explodieren scheinen.

Der heutige Mitschnitt stammt vom Europa Open Air des hr-Sinfonieorchesters und der Europäischen Zentralbank, das am 24. August 2017 in der Weseler Werft in Frankfurt am Main stattfand, Gastdirigent an diesem Abend war Pablo Heras-Casado:
www.youtube.com/watch
Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler

Beitrag von sd