Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
heute erwartet Sie ein Werk des französischen Komponisten André Jolivet: Sein Concertino für Trompete, Klavier und Streichorchester.
Der Komponist André Jolivet (1905-1974) war ein unorthodoxer Zeitgenosse. Schon in jungen Jahren hat er viel Musik gespielt, doch beim Klavierüben hat er sich immer wieder Freiheiten herausgenommen und zum Beispiel Sonaten von Beethoven, die er einstudierte, ein bisschen verändert. Der Notentext war ihm alles andere als heilig, die Freiheit, seine Fantasie war ihm wichtiger. Er spielte Theater, schrieb Theaterstücke und inszenierte sie. Er bekam Malunterricht. Dann spielte er Cello und Orgel und begann zu komponieren. Er beschäftigte sich mit der Musik der Renaissance und den Werken von Schönberg und Bartók. Edgar Varèse wurde sein Lehrer, Olivier Messiaen sein Mentor.
Wenn man seine Biographie liest, dann findet man ein Dutzend verschiedener Tätigkeiten. Er reiste viel und veröffentlichte Aufsätze über Musik, er lehrte und organisierte Konzerte. Besonders engagiert hat er sich in den 1930er Jahren für die Gruppe La Jeune France. Im Mittelpunkt des Interesses der Komponisten standen außereuropäische, archaische, exotische und rituell-religiöse Klänge. Nicht die orthodoxe, pointiert formuliert: die dogmatische Moderne interessierte Jolivet, sondern der souveräne Umgang mit völlig unterschiedlichen Stilen. So mischte er Jazz mit indischer oder arabischer Musik und klassischen Formen.
Dass Jolivet in Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg nicht die ganz große Karriere machte, hing mit der Macht von Pierre Boulez zusammen, der die französische Musikszene dominierte. Er hatte für die virtuose, farbenfrohe Musik des Kollegen Jolivet, für die mal tonal, mal atonal oder zwölftönig komponierten Werke nichts übrig. Sein Urteil war vielen Konzertveranstaltern und Interpreten Befehl. André Jolivet wurde - wie auch der Komponist René Leibowitz - ins Abseits gedrängt. Von 1945 bis 1959 war Jolivet Musikdirektor der Comédie Française, für die er zahlreiche Bühnenmusiken schrieb. All dies zeigt, dass er überaus vielseitig und ausgesprochen fleißig war. Sein Werkverzeichnis umfasst Messen, Oratorien und Kantaten, Lieder und Gesänge, eine Oper, Ballettmusiken, Solokonzerte, Kammermusik und sogar Filmmusiken.
Dass seine Musik in keine stilistische Schublade, dass ihm Klangfarben wichtiger waren als Konstruktionen, hört man auch im Concertino für Trompete, Streichorchester und Klavier. Fulminant beginnt das Stück mit harten Rhythmen, Klavier-Attacken, Trompeten-Stößen und Flatterzungen-Triller. Jolivet gewährt dem Trompeter nur kleine rezitative Ruhepausen, der virtuose Klavierkollege und die Streicher treiben ihn immer wieder voran. Mal wird marschiert oder getanzt, mal gestolpert oder galoppiert. Im ruhigen Mittelteil intoniert die Trompete con sordino eine wunderbar traurige Melodie voller Groove. Der Jazz lässt grüßen. Nach einem sempre accelerando preschen die Musiker voran bis zum triumphalen Schluss.
Die Besetzung von Jolivets Concertino entspricht genau der von Schostakowitschs erstem Klavierkonzert, jedoch ist dieses mehr Klavier-, das von Jolivet hingegen mehr Trompetenkonzert. Die Einbeziehung des Klaviers hat laut Jolivet klangliche Gründe: „Es hat die Aufgabe, dem einfarbigen Streicherklang einen gewissen Glanz zu verleihen. Außerdem unterstützt es die Trompete bei exponierten Einsätzen.“ Für André Jolivet war Musik pure Magie, eine mystisch-kosmische Größe, mit der sich die Welt verzaubern ließ. "Diesseitige" Klänge schloss diese Haltung aber keineswegs aus, ganz im Gegenteil. Jolivets Concertino für Trompete etwa zelebriert Spielfreude auf höchstem Niveau.
Unser heutiger Konzertmitschnitt kommt aus der Kölner Philharmonie. Dort musizierte am 30. November 2018 Selina Ott - sie gewann in diesem Jahr als erste Frau einen ersten Preis in der Kategorie Trompete beim Internationalen Musikwettbewerb der ARD - gemeinsam mit dem WDR Sinfonieorchester unter der Leitung von Andris Poga:
Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler