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17.02.2023 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 440

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

im Jahr 1929 wandte sich der Dirigent Serge Kussewitzky mit der Bitte an Igor Strawinsky, zum 50-jährigen Jubiläum des Boston Symphony Orchestra eine Sinfonie zu schreiben. Das Ergebnis ist eines der wichtigsten Chorwerke des 20. Jahrhunderts: Die Psalmen-Sinfonie.

In seiner Widmung auf der Titelseite der Partitur verband Strawinsky die äußeren und inneren Voraussetzungen für diese Komposition zu einer einzigen Formulierung: "Diese Symphonie, komponiert zur Ehre Gottes (original: "composée à la gloire de DIEU"), ist dem Boston Symphony Orchestra gewidmet aus Anlass seines fünfzigsten Geburtstags".  Weiter schreibt Strawinsky in seinen Erinnerungen: „Ich überlegte mir, aus welchem Klangmaterial ich mein symphonisches Gebäude aufführen sollte. Mir schwebte eine Symphonie mit großer kontrapunktischer Entwicklung vor, und so musste ich auch die Mittel vergrößern, um in dieser Form arbeiten zu können. Ich entschloss mich daher, ein Ensemble zu wählen, das aus Chor und Orchester zusammengesetzt ist und bei dem keines der Elemente dem anderen übergeordnet, beide also völlig gleichwertig sind... Was den Text angeht, so suchte ich nach einer Dichtung, die eigens für Gesang geschrieben ist. Dabei dachte ich natürlich sogleich an den Psalter.“

Die Texte entnahm er drei verschiedenen Psalmen (Nr. 38, 39 und 150) der lateinischen Vulgata-Übersetzung der Bibel. Zudem wollte Strawinsky die traditionelle Form einer Sinfonie des 19. Jahrhunderts vermeiden und dem Werk gleichzeitig eine ähnlich formale Verbindlichkeit geben. In den drei pausenlos aufeinander folgenden Sätzen stehen sich Chor und das ungewöhnlich besetzte Orchester, das einen stark vergrößerten Bläserapparat aufweist und auf die hohen Streicher verzichtet, gleichberechtigt gegenüber. Ebenso ungewöhnlich ist der Klang, den Strawinsky mit diesen Mitteln erzielt: Einem Litanei-artigen ersten Satz folgt eine komplexe Doppelfuge, die in die verhaltene Ekstase der finalen „Alleluia“-Rufe mündet. Dort, wo das Lob des Herrn „in cymbalis“ ertönen soll, scheint Strawinsky geradezu magische Kräfte aufzubringen, um die Stimmen in sanft pendelnde Glöckchen zu verwandeln.

Die Psalmen-Sinfonie steht in der Mitte von Strawinskys Schaffen und wird allgemein als eines seiner Hauptwerke betrachtet, da sie Errungenschaften früherer Schaffensphasen mit Grundzügen späterer Schöpfungen verbindet. Die Uraufführung erfolgte am 13. Dezember 1930 durch die Société Philharmonique de Bruxelles unter Ernest Ansermet. Nur wenige Tage später - am 19. Dezember - folgte die amerikanische Erstaufführung durch das Boston Symphony Orchestra unter Serge Koussevitzky.

Das Orchestre de Paris wählte dieses Werk für sein eigenes 50-jähriges Bestehen aus. So erklang es am 2. November 2017 gemeinsam mit dem Choeur de l'Orchestre de Paris unter der Leitung von Daniel Harding in der Pariser Philharmonie:

www.youtube.com/watch

Der Netherlands Radio Choir und das Radio Philharmonic Orchestra führten Strawinskys Psalmen-Sinfonie am 8. November 2019 unter der Leitung von Peter Dijkstra im Utrechter TivoliVredenburg auf:

www.youtube.com/watch

Zum Vergleich noch ein Mitschnitt mit Chor und Orchester der Mailänder Scala unter der Leitung von Riccardo Muti:

www.youtube.com/watch

Und noch eine letzte Empfehlung - im folgenden Link sehen Sie noch eine Bearbeitung des Werks für Klavier zu vier Händen von Dmitri Schostakowitsch mit Mariana Popova und Burkhard Kehring (Klavier) sowie dem NDR-Vokalensemble unter der Leitung von Philipp Ahmann. Die Aufführung fand im April 2021 im Rahmen des Online-Festivals "Strawinsky in Hamburg" anlässlich des 50. Todestages von Igor Strawinsky in der Elbphilharmonie statt:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen ein schönes Wochenende mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler
 

Beitrag von sd