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12.12.2022 Kategorie: Musik in schwierigen Zeiten

Musik in schwierigen Zeiten - 407

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

Musik aus England steht heute wieder einmal im Mittelpunkt: Das Klavierkonzert op. 13 von Benjamin Britten.

Er wolle „nicht ins Leere schreiben“, bekannte Benjamin Britten einmal und fügte erklärend hinzu: „Fast jedes Stück, das ich geschrieben habe, entstand für eine bestimmte Gelegenheit und meistens auch für bestimmte Musiker.“ Brittens bei aller Raffinesse auch von typisch britischem Understatement geprägte Musik hat zum Teil unfaire Häme erfahren. So kritisierte Theodor W. Adorno 1949 Brittens „Geschmack am Ungeschmack, Simplizität aus Unbildung, Unreife, die sich abgeklärt dünkt, und Mangel an technischer Verfügung.“

Heute hören wir Brittens Musik mit anderen Ohren. Sein einziges Klavierkonzert schrieb der englische Komponist 1938 für einen Pianisten - und der hieß: Benjamin Britten! Mit unüberhörbarer Freude an seiner Doppelbegabung als Klaviervirtuose und Komponist schuf Britten ein brillantes Stück Musik, das er - als sein kompetentester und fairster Kritiker - sieben Jahre später einer Überarbeitung unterzog. Brittens Klavierkonzert wurde am 13. August 1938 mit Sir Henry Wood und dem BBC Symphony Orchestra bei den BBC Proms uraufgeführt.

Die Reaktionen waren - wie zu erwarten - gemischt, denn dieses Werk kam selbst für Brittens frühe Bewunderer als Überraschung. Was seine Musiksprache und seine Beziehung zwischen Soloinstrument und Orchester angeht, war dieses Konzert ganz anders als frühere britische Beispiele für das Genre. Auch wenn das Werk des 24-jährigen Britten auch mehr mit russischen oder französischen Vorbildern gemein hat, bleibt es dennoch eine erstaunlich originelle Leistung. Das Publikum in der Queen’s Hall durfte sowohl die Anzahl der Sätze staunen als auch über ihre Titel: Toccata, Walzer, Rezitativ und Arie und Marsch.

Form und Tonsprache des Klavierkonzerts reflektieren die britische Tradition, aus welcher der junge Komponist manche Inspiration zog, sie stehen aber vor allem der französischen Musik der späten 1920erJahre, der Groupe des Six und besonders dem musikantischen Stil Francis Poulencs nahe; auch er brachte gerne barocke Genres wie die virtuose Toccata und die Kettenvariationen der Passacaglia mit Gesellschaftsmusik wie dem Walzer und dem Marsch zusammen. Die brillante Schreibweise für das Klavier greift im ersten Satz auch auf das Orchester über, die geläufige Virtuosität, ein Gattungsmerkmal der Toccata, erhält ihren Kontrast in kantablen Passagen mit einem leichten Einschlag von Salonton im zweiten, mit traurig-schöner Expressivität im dritten Satz. Im Gesamtwerk erfüllt die Toccata eine doppelte Funktion: Sie gibt die Perspektiven vor und sie dient als Ouvertüre zu einer Tanzszene, dem Walzer, so wie danach der dritte Satz die Atmosphäre schafft, in die der finale Marsch aus der Tiefe kommend vordringt. Mit Walzer und Marsch nahm Britten zwei musikalische Charaktere in sein Klavierkonzert auf, die in Gustav Mahlers Sinfonien zum Grundvokabular gehören und an Schlüsselstellen in den Vordergrund treten.

Britten komponierte den dritten Satz neu, als er das Konzert 1945 revidierte. Mit der Erfahrung seines Violinkonzerts und seiner Oper "Peter Grimes" im Hintergrund ersetzte er die ursprüngliche Kombination von Rezitativ und Arie, die hauptsächlich eine Trauermusik auf den Tod der Mutter war. Die Passacaglia lockert den persönlichen Bezug, objektiviert ihn und ordnet dadurch die expressiven Gewichte im Werk neu.

In der überarbeiteten Version von 1945 ist Brittens Klavierkonzert am 1. August 2019 bei den BBC Proms zu erleben gewesen. Leif Ove Andsnes spielte das Werk in der Londoner Royal Albert Hall gemeinsam mit dem BBC Symphony Orchestra unter der Leitung von Edward Gardner:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Urlaubsgrüßen von der Ostsee

Matthias Wengler

Beitrag von sd