Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
ein Klavierkonzert von Wolfgang Amadeus Mozart steht in der heutigen Ausgabe im Mittelpunkt: Das Klavierkonzert Nr. 9 Es-Dur KV 271, lange Zeit als "Jeunehomme"-Konzert bekannt, heute in der Regel mit dem Beinamen "Jenamy" versehen.
Es entstand im Januar 1777 und ist das vorletzte Klavierkonzert aus seiner Salzburger Zeit. Es folgte lediglich noch das Konzert für zwei Klaviere und Orchester Es-Dur KV 365, das Mozart Anfang 1779 in Salzburg komponierte. Der Name „Jeunehomme"-Konzert kursierte lange Zeit als Begriff und bezieht sich auf die Widmungsträgerin, über die man auch bis heute nicht sehr viel weiß. Neueste Forschungen haben aber ergeben, dass es sich bei der Pianistin, für die Mozart dieses Konzert schrieb, um Louise Victoire Jenamy, die Tochter des Mozart-Freundes und Tänzers Jean-Georges Noverre, handelte. Dieses Konzert zeigt sich im Vergleich zu den vorangegangenen Werken innerhalb dieser Gattung in ideeller und struktureller Hinsicht deutlich weiterentwickelt, die Musik erreicht eine neue Qualität und weist mitunter deutlich auf Mozarts späteren Stil hin.
Das Orchester nimmt das Allegro in Angriff - und wird sogleich vom Solisten unterbrochen, der ihm antwortet! Dies ist die erste der zahlreichen Überraschungen, die Mozart uns in diesem Konzert bereitet: Sie sind melodischer, rhythmischer, harmonischer oder struktureller Art, Überraschungen eines respektlosen und bewusst provozierenden jungen Mannes, der unzweifelhaft an Reife gewonnen hat und dessen Genie mit Gewalt in die musikalische Welt einbricht. Was Mozart hier geschaffen hat, ist kein höfliches neues Werk, das gefallen will, sondern eine radikale, revolutionäre Komposition, ein wahres Meisterwerk, das die Regeln verletzt: mit seiner Dimension (die Dauer beträgt über eine halbe Stunde statt der üblichen zwanzig Minuten), seiner Virtuosität - die im Finale geradezu haarsträubend ist - und der innovativen Gestaltung des Dialogs zwischen Klavier und Orchester.
Noch nie zuvor hatte ein Instrumentalwerk so opernhafte Züge, wie sie vor allem das zentrale Andantino prägen. Mit seinem ersten in Moll stehenden Konzertsatz bietet Mozart ein langes, dramatisches und schmerzvolles Arioso von verblüffendem melodischem Einfallsreichtum dar, das auch eine ungewöhnliche instrumentale Pracht entfaltet, trotz der nach wie vor kleinen Bläserbesetzung (zweifache Oboen und Hörner). Die rechte Hand des Pianisten verwandelt sich in einen dramatischen Sopran, der deklamiert und in den kurzen, wie Accompagnato-Rezitative anmutenden Momenten zuweilen weint; diesem narrativen Element entspricht Mozart mit einem Klaviersatz von erstaunlicher Modernität, die sich in der Rhythmik, aber auch in den dynamischen Kontrasten und den gegensätzlichen Registern bemerkbar macht.
Auf diese Oper ohne Worte folgt ein finales Rondeau, traditionell das Spielfeld der galanten Konventionen, das Mozart jedoch auf das Niveau der beiden vorangegangenen Sätze zu heben vermag, indem er ihm eine ungeheure Virtuosität und eine originelle Struktur verleiht. Überraschend setzt er nämlich mitten in die gewohnten, geradtaktigen Refrains und Couplets ein reizvolles Menuett im Dreiertakt mit vier Variationen. Diese Anordnung wirkt kokett, doch in der Expressivität des Satzes klingt auch das Andantino nach, wodurch sich innerhalb des Werks ein starker, ausgefallener Zusammenhalt ergibt zu einer Zeit, in der die einzelnen Sätze noch sehr oft austauschbar waren. Was das hohe Maß an Virtuosität dieses Satzes angeht (Hände über Kreuz, Oktaven usw.), so übertrifft er in dieser Hinsicht alles, was Mozart bis dahin geschrieben hat.
Eine ganze Reihe von Pianisten empfehle ich Ihnen heute gerne mit diesem populären Mozart-Klavierkonzert, zunächst Alexandre Tharaud mit dem Ensemble Le Balcon unter der Leitung von Maxime Pascal, aufgezeichnet im November 2020 in der Pariser Philharmonie:
Jan Lisiecki mit dem Finnish Radio Symphony Orchestra unter der Leitung von Hannu Lintu, aufgezeichnet 2017 im Musiikkitalo in Helsinki; Jan Lisiecki spielt als Zugabe das Nocturne c-Moll op.48 Nr. 1 von Frédéric Chopin:
Daniil Trifonov mit dem Orchestra dell'Accademia Nazionale di Santa Cecilia unter der Leitung von Sir Antonio Pappano, aufgezeichnet am 25. November 2021 im Sala Santa Cecilia des Auditorium Parco della Musica in Rom:
Und zum Schluss David Fray mit dem Orchestre national de France unter der Leitung von David Afkham, aufgezeichnet am 21. November 2013 im Théâtre des Champs-Elysées in Paris; David Fray spielt als Zugabe die Sarabande aus Johann Sebastian Bachs Partita Nr. 2 c-Moll BWV 826:
Ihnen allen einen schönes Wochenende mit herzlichen Urlaubsgrüßen aus Dänemark
Matthias Wengler